Der Schneeball-Effekt

Wie in Würzburg die Klimawende von unten gelingt

Welche Kraft die Klimawende von unten entwickeln kann, zeigt die Initiative „Würzburg erneuerbar.“ Sie ging aus einer Handvoll Engagierten hervor, ist heute Mitglied des Klimabeirats der Stadt Würzburg und spielt eine wichtige Rolle bei der Transformation der Stadt – und die Stadt wirkt als Musterbeispiel für andere Städte in Bayern.

Daniel Karl hat die Initiative mitgegründet.

Ehrenamt Lokalgruppen Gesellschaft
Kalender 25.06.2024
Daniel Karl

GermanZero: Daniel, die Initialzündung für „Würzburg erneuerbar“ kam von einer GermanZero-Gruppe, die sich später auflöste. Wie war das damals?

Daniel Karl: Die GermanZero-Gruppe war noch in der Corona-Zeit aktiv. Sie begleitete unter anderem die Ausarbeitung eines ambitionierten Klimaschutzkonzeptes, das 2022 über alle demokratischen Parteien hinweg Anklang gefunden hat. Mir hatte sich ein Bild der Gruppe eingebrannt, wie sie vor der Stadtratsitzung mit Plakaten vor dem Saal standen. Als die Gruppe, die hauptsächlich aus Studierenden bestand, sich dann auflöste, habe ich gemeinsam mit dem Umweltinstitut München e.V. einen Neuanfang gestartet.

Was war wichtig bei der Gründung eurer Initiative, die bis heute sehr erfolgreich ist?

Daniel Karl: Wir waren am Anfang ca. 10 interessierte Bürger:innen, die in ihrer Stadt etwas bewegen wollten. Wir wollten von Anfang an zielorientiert vorgehen sowie auf Augenhöhe und vor allem sach- und lösungsorientiert mit den handelnden Personen in Stadtverwaltung, Politik und beim kommunalen Energieversorger sprechen. Unser Gesprächsangebot und unser Stil kamen gut an, sodass wir bis heute einen regelmäßigen Austausch zu wechselnden Themen pflegen.

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"Es kam sehr gut an, dass wir diese Themen parteiunabhängig vertreten haben."

Welche Rolle spielt für euch die Vernetzung?

Daniel Karl: Die Vernetzung mit anderen Gruppen aus Würzburg und Umgebung ist ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg. Als einzelne Gruppe hat man nur sehr begrenzte Möglichkeiten, Aufmerksamkeit zu erlangen, und die Kapazitäten sind immer knapp. Vor der Landtagswahl 2023 in Bayern beschlossen wir deshalb, unsere Kräfte zu bündeln, damit wir mit unseren nachhaltigen Themen Gehör finden.

Daraus entstand das damals wohl einzigartige Bündnis ZukunftsKlima, das mittlerweile ein Vorbild für andere potenzielle Bündnisse in Deutschland ist. Es ist enorm, was da entstanden ist.

Das Team von Würzburg erneuerbar
Das Team von Würzburg erneuerbar / Credits: Carlos Pusch

Wie seid ihr vor der Landtagswahl aktiv geworden?

Daniel Karl: Wir waren mit Infoständen sehr präsent und sind so professionell aufgetreten, dass die Leute uns gefragt haben, ob man uns wählen kann. Wir haben dann immer gesagt: „Nein, wir treten für Nachhaltigkeit und Klimaschutz ein, bitte berücksichtigen Sie das bei Ihrer Wahlentscheidung.“ Es kam sehr gut an, dass wir diese Themen parteiunabhängig vertreten und gerade junge Menschen dazu animiert haben, ihr Wahlrecht auch zu nutzen. Diese Arbeit führen wir auch bis heute so weiter, weil es so gut lief – unabhängig davon, ob gerade eine Wahl ansteht oder nicht.

Welche Erfolge hat „Würzburg erneuerbar“ seitdem erzielt?

Daniel Karl: Unsere Initiative hat einen wesentlichen Anteil daran, dass Würzburg auf einem guten Weg zu einer klimaneutralen Stadt ist. Seit Juli 2025 hat Würzburg als erste bayerische Großstadt einen grünen Oberbürgermeister, der sich wie wir für progressive Nachhaltigkeitsthemen einsetzt. Schon in seiner Zeit als 2. Bürgermeister und selbsternannter „Klimabürgermeister“ haben wir einen respektvollen und konstruktiven Austausch gepflegt, den wir nun in höherer Funktion auch fortführen werden.

Wir begleiten die Stadtverwaltung bei dem Ziel, Würzburg bis 2040 klimaneutral zu machen, die Verwaltung selbst sogar schon bis 2028. Die Wärmeplanung ist auf einem guten Weg, zum Beispiel plant der Energieversorger zunehmend Großwärmepumpen direkt am Main einzusetzen, die von unserer Initiative immer wieder gefordert wurden.

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"Wir sind erfolgreich, weil wir den Dialog mit allen Seiten suchen und konstruktive Beiträge für Lösungen einbringen."

Es klingt, als würdet ihr eine wichtige Rolle in der Stadt spielen

Daniel Karl: Durch unser Netzwerk und unsere sachliche Arbeit haben wir sehr viel Akzeptanz geschaffen. Inzwischen sind wir so gut vernetzt, dass wir immer häufiger einbezogen werden, wenn es in der Stadt um Nachhaltigkeit geht.

Ein ganz konkreter Erfolg ist zum Beispiel, dass wir dem Stadtrat mit einer Umfrage zeigen konnten, dass eine große Mehrheit der Bürger:innen Solaranlagen auf den Dächern der denkmalgeschützten Innenstadt befürwortet. Dieses Stimmungsbild ist dann in die letztendlich positive Entscheidung zum neuen Denkmalschutzkonzept eingeflossen.

Was ist das Erfolgsgeheimnis eurer Arbeit?

Daniel Karl: Wir sind erfolgreich, weil wir den Dialog mit allen Seiten suchen und konstruktive Beiträge für Lösungen einbringen. Man kennt uns als glaubwürdige Vermittler, weil wir nicht einfach Parolen rufen, sondern zeigen, dass es uns um die Sache geht. So bringen wir die Sichtweisen der Bürger:innen in Politik und Verwaltung ein und können andersrum deren Mechanismen an die Bürgerschaft vermitteln.

Ein ganz praktisches Erfolgsgeheimnis ist, dass wir uns sehr gut auf Termine vorbereiten. Wir schicken unseren Gesprächspartner:innen eine Woche im Voraus einen Fragenkatalog, damit auch sie sich vorbereiten können und nicht im Gespräch sagen: „Da muss ich erst mal nachschauen.“ So nehmen wir immer recht viele Erkenntnisse mit aus einem Termin und können gezielt Ideen und Sichtweisen der Bürger:innen einbringen.

Stadt Würzburg
Mit 133.000 Einwohnern ist Würzburg die ersten Großstadt in Bayern mit einem grünen Oberbürgermeister / Credits: Carlos Pusch

Welche Empfehlungen hast du für andere Lokalteams, die sich für eine klimaneutrale Stadt einsetzen?

Daniel Karl: Mein Tipp wäre, an die Vernetzung zu denken. Es gibt ganz viele Gruppierungen, die ihre Stadt oder ihren Stadtteil auf die eine oder andere Art voranbringen wollen. Versucht euch breit aufzustellen, hört überall mal rein: Was macht ihr so? Können wir was zusammen machen, um größer zu werden? Wie können wir Synergien nutzen, um besser aufzutreten? Das fängt schon bei Bierbänken oder einem Zelt für einen Infostand an, die man sich ausleiht. Ladet doch mal alle Gruppierungen ein und schaut, was daraus entsteht. Das Bündnis ZukunftsKlima aus Würzburg hilft euch auch gerne weiter, fragt einfach bei uns an.

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"Es ist immer gut, wenn man Positivbeispiele zeigt, am besten welche aus der eigenen Stadt."

Ein anderer Tipp: Ladet nicht nur zu eigenen Nachhaltigkeitsaktionen ein, sondern besucht selbst viele Termine wie politische Veranstaltungen oder kommunale Ausschusssitzungen zu Themen, die euch wichtig sind. Werdet sichtbar durch T-Shirts oder Ähnliches. Man kommt dann ganz automatisch mit den Leuten ins Gespräch. Wir hatten schon viele gute Gespräche mit Politiker:innen und anderen engagierten Personen vor oder nach einer Veranstaltung.

Wie gewinnt man die Bürger:innen für den Wandel in der Stadt?

Daniel Karl: Es ist immer gut, wenn man Positivbeispiele zeigt, am besten welche aus der eigenen Stadt. Wir haben in der Fußgängerzone ein paar Straßen, die vor Jahren noch mit Autos befahren wurden. Damals gab es die übliche Kritik: „Wenn die Straßen beruhigt werden, schadet das den Geschäften!“ Heute zeigen wir den Leuten an unseren Infoständen Fotos von damals und fragen sie: „Wollt ihr das zurück oder wollt ihr lieber die mit Bäumen bepflanzte Einkaufsstraße behalten?“ Natürlich sind alle für letzteres. Man kann ja auch Zukunftsbilder von der eigenen Stadt gemeinsam mit Künstlern gestalten oder mit KI entwerfen lassen. Das gab bei uns schon viel gutes Feedback in den Medien und der Bevölkerung.

Mit der „ZukunftsAllee“ habt ihr so ein Zukunftsbild auch schon im Stadtraum geschaffen

Daniel Karl: Da haben wir ganz konkret gezeigt, wie es anders gehen kann. Mit dem Aktionstag „ZukunftsAllee“ haben wir eine Straße einen Tag lang zur erweiterten Fußgängerzone umgestaltet. Das wurde sehr gut angenommen, so dass wir den Aktionstag in diesem Jahr wiederholen werden. Außerdem sind wir weiter im Dialog mit den Geschäftsinhaber:innen und den Anwohner:innen vor Ort, um konkret zu besprechen, wie Veränderungen für alle Seiten von Vorteil sind. Genau solche Modelle braucht es, um den Bürgerinnen und Bürgern zu zeigen: es kann sich was bewegen, ihr müsst aber auch mitmachen, dann können wir was richtig Gutes erreichen und alle profitieren davon.

Ihr schafft also Anlässe, um niederschwellig ins Gespräch zu kommen

Daniel Karl: Ja, genau. Wenn wir Infostände haben, hilft es zum Beispiel, die Menschen durch Umfragen zu lokalen Themen einzubinden und Angebote für Familien mit Kindern anzubieten. So kann man schon früh mit Umweltbildung beginnen, aber auch den Eltern mal Zeit zum Durchschnaufen geben, um dann mit ihnen, bei einem Kaffee oder Tee auf Spendenbasis, locker ins Gespräch zu kommen.

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"Unser Geheimrezept: Egal was die Politik macht, wir machen trotzdem weiter, auch wenn gerade im Bund alles Mögliche rückabgewickelt wird."

Welche Chancen siehst du für die Klimawende von unten?

Daniel Karl: Unser Geheimrezept: Egal was die Politik macht, wir machen trotzdem weiter, auch wenn gerade im Bund alles Mögliche rückabgewickelt wird. Es ist vielversprechender, wenn wir nicht darauf warten, bis die Entscheidungen von oben getroffen werden. Wir sagen: Lasst uns in der Kommune anfangen! Lasst uns unter dem Radar der Landes- oder Bundespolitik Verbesserungen erreichen, die dann wiederum Positivbeispiele für andere Städte sind.

Diesen Schneeballeffekt sieht man in Würzburg. Wir sind beim Klimaschutz in einigen Dingen wirklich Vorreiter, und unser Oberbürgermeister Martin Heilig inspiriert seit Jahren als Vorsitzender des Umweltausschusses des Bayerischen Städtetags andere Großstädte in Bayern. So hat er Dinge bewirkt, die ein Ministerpräsident Söder vielleicht gar nicht beabsichtigt hätte.

Das klingt sehr hoffnungsvoll!

Daniel Karl: Ja! Wenn wir in jeder Stadt nach und nach Projekte umsetzen und die Bevölkerung mitnehmen, werden dort immer öfter auch bei Wahlen und wichtigen Abstimmungen positive Entscheidungen zum Klimaschutz getroffen. Klimaschutz muss immer auch vor Ort angestoßen werden. Und wenn jede Stadt auch nur ein bisschen alleine macht, ist schon mehr gewonnen, als wenn man darauf wartet, dass die Landes- oder Bundespolitik irgendwann mal etwas entscheidet.

Für Eilige

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