Wohlbefinden statt Wachstum

Wirtschaft im Wandel: Wellbeing Economies als Zukunftsmodell

Auf einem toten Planeten kann man nicht wirtschaften – so weit, so logisch. Dennoch verknüpfen die meisten Unternehmen und Regierungen Erfolg und Fortschritt noch immer ausschließlich mit Wachstum. Doch wohin unendlich wachsen, wenn die Ressourcen der Erde begrenzt und planetare Grenzen bereits überschritten sind? Immer mehr Länder setzen auf das Konzept der „Wellbeing Economies“ und zeigen, dass nachhaltiges Wirtschaften nicht nur möglich ist, sondern das Leben aller verbessern kann.

Wirtschaft Gesellschaft
12.02.2025
Sandra Michalski

In Zeiten von Klimakrise, Artensterben und Plastikverschmutzung müssen wir endlich hinterfragen, was eigentlich der Sinn und Zweck der Wirtschaft ist. Muss es wirklich so sein, dass die Wirtschaft sowohl Gesellschaft als auch Natur ausbeutet? Oder sollte sie nicht viel eher zu deren Wohlergehen beitragen? Diese Frage stellt auch der sehenswerte Dokumentarfilm Purpose von Martin Oetting, der schließlich feststellt: Unser Wirtschaftssystem ist menschengemacht, also kann es auch verändert und gestaltet werden.

Das erkennen zum Glück immer mehr Länder und Kommunen, die auf das Konzept der „Wellbeing Economies“ setzen – also Wirtschaftsmodelle, die das Wohl der Menschen und des Planeten in den Mittelpunkt stellen. Diese Ansätze zeigen, dass nachhaltiges Wirtschaften nicht nur möglich ist, sondern das Leben aller verbessern kann.

Was ist eine Wellbeing Economy?

Eine Wellbeing Economy („Gemeinwohl-Wirtschaft“) ist ein Wirtschaftssystem, das darauf abzielt, das Wohlbefinden von Menschen und Ökosystemen über reines Wirtschaftswachstum zu stellen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Wirtschaftsmodellen, bei denen das „Bruttoinlandsprodukt (BIP)“ als zentrale Messgröße dient, konzentrieren sich Wellbeing Economies auf Indikatoren wie:

● Gesundheit und Lebenszufriedenheit
● Gleichheit und soziale Gerechtigkeit
● Umweltschutz und Ressourcenschonung
● Gemeinschaftsgefühl und soziale Teilhabe

Durch diese Neuausrichtung wird Wirtschaft nicht als Selbstzweck betrachtet, sondern als Mittel, um ein gutes Leben für alle zu ermöglichen – innerhalb der ökologischen Grenzen unseres Planeten.

Wo funktioniert das bereits?

Die gute Nachricht: Das Konzept ist keine bloße Theorie oder Utopie. Es gibt inspirierende Vorreiter, die zeigen, dass Wellbeing Economies durchaus realisierbar sind:

Schottland, Edinburgh

Schottland – Pionier der Wellbeing Economy Governments (WEGo)

Schottland ist Gründungsmitglied der „Wellbeing Economy Governments (WEGo)“, einer internationalen Initiative, die 2018 ins Leben gerufen wurde. Die schottische Regierung hat sich (zusammen mit Island, Neuseeland, Wales, Finnland und Kanada) verpflichtet, das Wohlbefinden der Bevölkerung in den Mittelpunkt ihrer Politik zu stellen.

● National Performance Framework: Schottland misst seinen Erfolg nicht mehr am BIP, sondern an elf Zielen, darunter Gesundheit, Umweltqualität und soziale Gerechtigkeit.
● Green Recovery Plans: Nach der Pandemie setzte Schottland auf klimafreundliche Investitionen wie den Ausbau von erneuerbaren Energien und des öffentlichen Nahverkehrs.

Neuseeland, Lake Wanaka

2. Neuseeland – das „Wellbeing Budget“

Auch Neuseeland ist Teil der WEGo und setzt seit 2019 auf ein „Wellbeing Budget“, das den Staatshaushalt auf die Bedürfnisse der Menschen ausrichtet. Die Regierung verfolgt fünf Prioritäten:

● bessere psychische Gesundheit
● Abbau von Armut bei Kindern
● Bekämpfung der Ungleichheit der Maori und Pazifikgemeinschaften
● Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaft
● Förderung einer digitalen Zukunft

Das Konzept fördert außerdem innovative Ansätze wie eine kostenlose psychologische Betreuung und Programme für eine nachhaltige Landwirtschaft.

Bhutan, Taktshang

3. Bhutan – Bruttonationalglück statt BIP

Bhutan misst den Erfolg seines Landes seit den 1970er Jahren nicht am BIP, sondern am „Bruttonationalglück“ (Gross National Happiness). Das Land berücksichtigt dabei Aspekte wie Umweltverträglichkeit, kulturelle Werte, Gesundheit und Bildung. Konkret zeigt sich das in:

● einer Verfassung, die vorschreibt, dass mindestens 60 % des Landes bewaldet bleiben müssen
● dem Verzicht auf fossile Brennstoffe und der Förderung von Wasserkraft

Spanien, Barcelona

4. Barcelona – Gemeinwohl-Ökonomie in der Praxis

Die spanische Stadt Barcelona ist ein Vorbild für die Umsetzung der „Gemeinwohl-Ökonomie“ (Economía del Bien Común). Unternehmen und die Stadtverwaltung haben gemeinsame Werte wie ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt ihrer Strategien gestellt:

● Einführung eines „Gemeinwohl-Berichts“, der Unternehmen mit nachhaltigen Praktiken belohnt
● Förderung von lokalen Märkten und genossenschaftlich organisierten Betrieben

Was haben diese Beispiele gemeinsam?

Es gibt also Wege, wie Gesellschaften ihre Wirtschaft umbauen können, ohne Wohlstand und Lebensqualität zu verlieren. Die Umsetzung mag etwas variieren, dennoch lassen sich einige Gemeinsamkeiten der Wellbeing Economies ausmachen:

1. Klare Ziele: Alle Projekte definieren alternative Indikatoren zu Wachstum, wie Gesundheit, Gerechtigkeit oder Klimaneutralität.

2. Einbeziehung der Bevölkerung: Die Bürger*innen werden in die Gestaltung neuer Strukturen aktiv einbezogen.

3. Mutige Politik: Regierungen wagen es, konventionelle Wirtschaftsstrukturen infrage zu stellen und alternative Wege zu gehen.

4. Verankerung in den Institutionen: Der Erfolg hängt davon ab, dass Nachhaltigkeit nicht nur ein „Projekt“, sondern ein fester Bestandteil der politischen Strategie ist.

Leben nach dem Donut-Prinzip

Als Leitbild für die Wellbeing Economies kann man sich das Prinzip der „Donut-Ökonomie“ vorstellen, ein alternatives Wirtschaftsmodell, das von der britischen Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth entwickelt und vom Konzept der planetaren Grenzen inspiriert wurde. Es stellt sich die Wirtschaft als einen Donut vor und bietet einen Rahmen für nachhaltiges und gerechtes Wirtschaften.

Der Donut besteht aus zwei Ringen:

Quelle: https://www.riffreporter.de/de/umwelt/schrader-serie-wirtschaft-donut-oekonomie

1. Der innere Ring repräsentiert das soziale Fundament, also die Mindestbedingungen, die Menschen für ein gutes Leben benötigen, wie Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Nahrung und Wohnraum.

2. Der äußere Ring steht für die ökologischen Grenzen des Planeten, wie den Klimawandel, den Verlust der Biodiversität und die Verschmutzung von Luft und Wasser.

Ziel ist es, dass die Menschheit zukünftig innerhalb dieses „sicheren und gerechten Handlungsraums“ agiert – also das soziale Fundament für alle sicherstellt, ohne die ökologischen Belastungsgrenzen der Erde zu überschreiten.

Der „Donut“ führt bildhaft vor Augen, worum es bei den Wellbeing Economies geht: um Alternativen zu wachstumszentrierten Wirtschaftssystemen, mit denen die Wirtschaft in den vorgegebenen Handlungsraum gelenkt und darin gehalten werden kann.

Wie können wir davon lernen?

Deutschland hat großes Potenzial, sich an diesen Vorbildern zu orientieren. Erste Schritte zur Umsetzung könnten sein:

● neue Messgrößen für Wohlstand entwickeln bzw. das bereits existierende Konzept des „Nationalen Wohlfahrtsindex“ weiter ausbauen
● Investitionen in grüne Infrastruktur und zukunftssichere Arbeitsplätze fördern
● regionale Projekte stärken, z. B. Genossenschaften oder Gemeinwohl-Ökonomie-Modelle, die bereits in Städten wie Bremen getestet werden

Fazit: Wer mutig ist, gewinnt

Ohne eine intakte Umwelt sind wirtschaftliche Aktivitäten bedeutungslos. Das nicht nur anzuerkennen, sondern Veränderungen im menschengemachten Wirtschaftssystem herbeizuführen, erfordert mit Sicherheit Mut. Die oben genannten Beispiele zeigen jedoch, was es zu gewinnen gibt: mehr Gerechtigkeit sowie ein gutes Leben für alle in einer gesunden Umwelt.

Die Transformation hin zu einer klimaneutralen und menschenzentrierten Wirtschaft ist keine bloße Vision, sondern dringend notwendig. Mit den Konzepten der Wellbeing Economies und der Donut-Ökonomie gibt es bereits erprobte Ideen, die den Klimaschutz und das Wohlbefinden aller fördern. Nun liegt es an uns, mutig zu sein und diese neuen Wege zu gehen.

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Titelfoto: Markus Spiske / unsplash

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