Lass bleiben!

Gebäude umgestalten statt abreißen

Bauen mit dem, was schon ist: Statt Gebäude abzureißen und an ihre Stelle neue zu setzen, wäre es schonender für Ressourcen und Klima, den Bestand zu erhalten und umzubauen.

Von Kristina Simons

Gebäude
24.03.2022
Kristina Simons

Ramschläden im Erdgeschoss, Tauben im Dachgeschoss – das Bikinihaus, einst Ikone der Nachkriegsmoderne und Berlins „Schaufenster des Westens“, ging seit den frühen 1990er-Jahren immer mehr vor die Hunde. Zwischen 1955 und 1957 war es in Ku’damm-Nähe für exklusive Damenmode gebaut worden. Bikinihaus hieß das 200 Meter lange Gebäude umgangssprachlich, weil ein nur von Säulen getragenes Luftgeschoss es in einen oberen und einen unteren Baukörper teilte – wie ein Bikini eben.

Als das Geschäftshaus in den 1990ern in wirtschaftliche Schieflage geriet, wurde schon über seinen Abriss diskutiert, doch das Landesdenkmalamt verhinderte ihn. Zwei Architekturbüros machten sich an die Planung für eine Runderneuerung, und seit 2014 erstrahlt das Gebäude als Bikini Berlin in neuem Glanz.

Abriss, wo Sanierung möglich wäre

Ganz anders erging es den vier ebenfalls denkmalgeschützten City-Höfen im Hamburger Kontorhausviertel. Die sanierungsbedürftigen Hochhäuser wurden Anfang 2020 abgerissen, um einem Neubaukomplex Platz zu machen. Gegen den Abriss gab es heftige Proteste, doch die Stadt Hamburg als Eigentümerin wollte davon nichts wissen, verkaufte die Häuser und genehmigte den Abriss.

Nur zu oft müssen lange vernachlässigte Gebäude weichen, obwohl eine Sanierung möglich wäre. Allein 2019 wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Deutschland 15.157 Wohn- und Nichtwohngebäude abgerissen.

Erstrahlt seit 2014 in neuem Glanz: Das Bikini Berlin / Credits: Berliner Regenwasseragentur, Ahnen&Enkel – Silke Reents

Graue Energie berücksichtigen

Angesichts von Klimawandel, immer größerem Flächenverbrauch und knapper werdenden Ressourcen wächst der Chor an Stimmen, die sich für das Bauen im Bestand einsetzen. Sie pochen darauf, sich den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen von Gebäuden über ihren gesamten Lebenszyklus anzuschauen — quasi von der Wiege bis zur Bahre. Denn Energie und CO2 fallen schon lange vor der eigentlichen Nutzungsphase an: Baumaterialien und Technik müssen hergestellt und transportiert werden, das Gebäude muss errichtet und womöglich irgendwann abgerissen, Bauschutt entsorgt werden.

Diese sogenannte graue Energie und die damit verbunden grauen CO2-Emissionen spielen in staatlichen Förderprogrammen der KfW für energieeffiziente Gebäude oder im Gebäudeenergiegesetz keine Rolle, diese fokussieren allein auf die Nutzungsphase. Dabei entfallen beispielsweise bei Null- und Plusenergiehäusern bis zu 40 % des Energieaufwands allein auf die Konstruktion, wie Berechnungen des Umweltbundesamtes (UBA) zeigen. Entsprechend empfiehlt auch das UBA, eine ganzheitliche Bilanzierung von Gebäuden inklusive der grauen Energie einzuführen.

Diskussion in der Architekturbranche

Die Architects for future fordern, Abriss zu hinterfragen, der Bund der Architekten (BDA) macht sich ebenfalls für den Bestand stark. „Erhalte das Bestehende! So lautet der neue Imperativ des Bauens angesichts der Klimakrise“, sagt BDA-Präsidentin Susanne Wartzeck. „Weder als Gesellschaft noch als Berufsstand können wir die betriebswirtschaftlich begründete Lebensdauer von dreißig Jahren für Gebäude akzeptieren.“

Zudem können Bestandsgebäude dazu beitragen, die Wohnungsknappheit zu lindern. Auch ohne Neubau sei genug Wohnraum da – davon ist der Autor und Architekturverleger Daniel Fuhrhop überzeugt. „Nehmen wir nur Frankfurt am Main: Dort steht eine dreiviertel Million Quadratmeter Büros leer; sie ließen sich in 10 000 Wohnungen von je 75 Quadratmetern umnutzen. Was in Frankfurt angeblich an Wohnraum fehlt, ist eigentlich schon da.“

Büros zu Wohnungen

Dass so eine Transformation gelingen kann, zeigt das Beispiel eines Bürohochhauses in Frankfurt-Niederrad: Anfang der 1960er­-Jahre wurde es gebaut, war für heutige Bedürfnisse unzureichend gedämmt und irgendwann sanierungsbedürftig. In den 2000ern stand etwa ein Drittel der rund eine Million Quadratmeter leer. Wegen des hohen Büroleerstands forcierte die Stadt Frankfurt eine Umwandlung der Bürostadt Niederrad in einen gemischt genutzten, lebendigen Stadtteil. Besagtes Hochhaus in der Lyoner Straße 19 machte 2010 den Anfang. Es wurde um drei Etagen aufgestockt und bietet nun 98 Wohnungen mit 48 bis 160 Quadratmeter Wohnfläche.

Leere Fabriken, Wohnungen und Büros, Schulen, Kirchen und Kasernen – in ganz Deutschland stehen Gebäude, die sich mit neuem Leben füllen lassen und Neubau überflüssig machen würden.

In Berlin ist übrigens gerade ein weiteres Gebäude der Bikinihaus-Architekten Paul Schwebes und Hans Schoszberger dank des Landesdenkmalamtes dem Abriss entkommen: Das Huthmacher-Haus direkt gegenüber dem Bahnhof Zoo wird nun revitalisiert.

Diesen Text und viele andere findest du auch im GermanZero-Magazin.