GermanZero: Mithilfe Ihres SALCOS-Projekts wollen Sie die CO2-Emissionen bis 2050 um mehr als 95 Prozent senken. Wie kann das gelingen?
Heinz Jörg Fuhrmann: Mit Blick auf die EU-Klimaschutzziele von nunmehr minus 55 Prozent CO2 bis 2030 im Vergleich zu 1990 und Klimaneutralität bis 2050 stehen die integrierten Hüttenwerke in Europa vor gewaltigen ökologischen und ökonomischen Herausforderungen. Obwohl die weltweit etablierte Hochofenroute heute bei uns mit einem energetischen Wirkungsgrad von mehr als 95 Prozent bereits mit maximaler Effizienz funktioniert, sind die jährlich in unserem Hüttenwerk anfallenden CO2-Emissionen zugegebenermaßen sehr hoch.
Das klimapolitisch umstrittene Erdgas soll bei Ihnen, in der Stahlproduktion, also die Funktion der Brückentechnologie einnehmen?
Solange uns in Deutschland nicht ausreichend grüner Wasserstoff zur Verfügung steht, muss das wasserstoffhaltige Erdgas übergangsweise die Rolle als Reduktionsmittel ausfüllen. Aber Achtung: Das ermöglicht uns bereits eine signifikante CO2-Einsparung um 65 Prozent im Vergleich zur konventionellen, kohlebasierten Hochofenroute. Und mit dem Projekt „WindH2“ erzeugen wir bereits eigenen grünen Wasserstoff aus Windkraftanlagen auf dem Hüttengelände. Damit lösen wir den bisher extern bezogenen grauen Wasserstoff in unseren Stahlveredelungsprozessen ab.
Das Handlungskonzept Stahl der Bundesregierung befasst sich mit den notwendigen Rahmenbedingungen für eine klimaneutrale Stahlindustrie in Deutschland. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl schätzt die Kosten dafür auf 30 Milliarden Euro.
Wir könnten sofort anfangen: Bereits mit der ersten SALCOS-Ausbaustufe ließe sich ab 2026 nach einer Investition von gut einer Milliarde Euro so viel CO2 vermeiden, wie es dem Austausch von einer Million VerbrennerPkw gegen vollelektrische Autos entspräche.
Wie steht es dabei um Ihre Konkurrenzfähigkeit im internationalen Wettbewerb?
Ohne faire Wettbewerbsbedingungen für eine sich transformierende heimische Stahlindustrie ist der Patient im Strukturwandel „wirtschaftlich tot“, bevor wir die Dekarbonisierung erfolgreich abschließen können.
Damit wäre dem Weltklima sicherlich auch nicht geholfen, denn unseren Stahl müssten wir dann aus Staaten mit deutlich schlechteren CO2-Bilanzen importieren.
Braucht es eine europäische Quote für die Verwendung grünen Stahls?
Mittelfristig müssen sich grüne Märkte für CO2-neutrale Grundstoffe entwickeln, auf denen die Mehrkosten der klimafreundlicheren Verfahren erwirtschaftet werden. Die heute noch notwendigen staatlichen Anschubfinanzierungen können so gesenkt und langfristig sogar ganz abgelöst werden.
Derzeit werden dazu auf nationaler wie auch auf EU-Ebene bestehende und neue Regulierungen dahingehend überprüft, wie deren CO2-Minderungswirkung durch zusätzliche Nachfrageimpulse für klimafreundlicheren Stahl und andere Werkstoffe gesteigert werden kann. Bereits kurzfristig könnten staatliche Anreize gesetzt werden, mit denen eine erhöhte Zahlungsbereitschaft für den teureren grünen Stahl geschaffen wird. Steuerliche Anreize, zum Beispiel bei Kraftfahrzeugen, und auch Quoten, unter anderem in der öffentlichen Beschaffung, sollten dabei meines Erachtens eine flankierende Maßnahme für den Markthochlauf grüner Stahlprodukte bilden.
Dieses Interview findest du auch im GermanZero-Magazin.