Wir brauchen ein Restbudget!

Für ein Klimaschutzgesetz, das zukunftsweisend plant, statt rückwirkend steuert

Mit der Reform des Klimaschutzgesetzes (KSG) läuft die Bundesregierung Gefahr, Klimaschutz dramatisch zu verschleppen. Sie riskiert, dass sie in Zukunft Maßnahmen übers Knie brechen muss, die wir jetzt schon als radikal empfinden. Stattdessen muss das KSG für eine Klimapolitik sorgen, deren Wirkung vorausberechnet wird. Dies muss sich an einem Restbudget orientieren, das vorgibt, wie viel Treibhausgase Deutschland noch maximal ausstoßen darf.

Klimapolitik Gesetzgebung
26.07.2023
Juliane Willert

Klimaschutz geht nicht ohne Änderung des Lebensstils

Es sei den Bürger:innen nicht zu vermitteln, dass sie Einschränkungen hinnehmen sollen, obwohl man die Klimaschutzziele 2022 insgesamt erreicht hätte, sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing am 21.6. im Morgenmagazin von ARD und ZDF und rechtfertigte so, dass mit der nun im Kabinett beschlossenen Novelle zum Klimaschutzgesetz Sektorziele aufgehoben werden und die CO2-Reduktion quasi im Tauschgeschäft erfolgen kann. Damit verkennt Wissing – der vermeintlich größte Nutznießer der Novelle –, zwei Dinge.

Verantwortungsvolle Klimaschutzpolitik bedeutet, auch jenseits von Zwischenzielen alles zu tun, um jede Tonne CO2e so schnell wie möglich einzusparen, damit wir unsere globale Freiheit sichern.

Erstens: Mit dem aktuellen Klimaschutzgesetz (KSG) ist Deutschland noch nicht auf dem 1,5 Grad-Pfad und verfolgt Ziele, die unserer Pariser Verantwortung nicht ausreichend nachkommen. Zweitens: Klimaschutz ist nicht nur eine politische Pflichtaufgabe, möglichst treffsicher ein Zwischenziel zu erreichen: Verantwortungsvolle Klimaschutzpolitik bedeutet auch, alles darüber hinaus Mögliche zu tun, um jede Tonne CO2e so schnell wie möglich einzusparen, damit wir unsere globale Freiheit sichern.

Das – und so viel Mut muss jetzt sein – geht nicht ohne Transformation und Maßnahmen, die auch eine langfristige Veränderung unseres Lebensstils bedeuten, selbst wenn sich das nach Einschränkung anfühlen mag.

Verlässlicher Klimaschutz braucht verlässliche Zahlen

Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck betrachtet den aktuellen Weg positiver, als er ist: Mit der Vorstellung des Klimaschutzprogramms 2023 verkündete er, dass Deutschland mit den geplanten Maßnahmen die Klima-Zielsetzung für 2030 bis auf eine Lücke von 200 Millionen Tonnen erreichen wird. Zur Erinnerung: Für 1,5 Grad reichen die Vorgaben aus dem aktuellen KSG ohnehin noch nicht aus.

Es bleibt schwer nachvollziehbar, wie dieser Strauß an Maßnahmen mit durchaus guten Ansätzen berechnet ist.

Zum Klimaschutzprogramm 2023

An dieser Stelle aber noch entscheidender: Es bleibt schwer nachvollziehbar, wie dieser Strauß an Maßnahmen mit durchaus guten Ansätzen berechnet ist. Denn weder gibt es eine quantitative Einordnung der CO2e-Reduktion, noch arbeitet die Bundesregierung mit einem verbindlichen Treibhausgas-Restbudget, das als Berechnungsgrundlage fungiert.

Es werden keine Ziele formuliert, die mit den einzelnen Maßnahmen erreicht werden sollen. Verlässlicher Klimaschutz lässt sich aber nur betreiben, wenn geplante Maßnahmen ausdekliniert und ihre Folgen antizipiert werden, die sich dann in CO2e bilanzieren lassen. Eine bloße Wirkungsabschätzung reicht nicht.

Zukunftsweisend planen statt nachsteuern

Es ist bereits die Schwäche des aktuellen KSG, dass die Bundesregierung geplante Maßnahmen nicht differenziert bilanzieren muss, sondern erst nach Veröffentlichung der Emissionsdaten die Klimawirkung betrachtet und damit eher im Rückblick agiert. Deshalb steuern wir im Klimaschutz politisch derzeit vor allem nach.

Was nach mehr Planungs- und Umsetzungszeit klingen kann, birgt die Gefahr, dass über einen zu langen Zeitraum Emissionen unumkehrbar ausgestoßen werden und in der Folge radikale Maßnahmen nötig werden.

Der neue KSG-Entwurf verschärft diese Situation, wenn er darauf abzielt, erst dann nachzujustieren, wenn Emissionsziele in zwei aufeinanderfolgenden Jahren nicht eingehalten werden konnten. Was nach mehr Planungs- und Umsetzungszeit klingen kann, birgt die Gefahr, dass über einen zu langen Zeitraum Emissionen unumkehrbar ausgestoßen werden und in der Folge Maßnahmen, die wir jetzt schon als radikal empfinden, noch schneller durchgesetzt werden müssten, um möglichst stark gegensteuern zu können.

Es ist nicht zuletzt dieser Vorschlag für die Reform des KSG, der verlangt, dass Klimaschutzmaßnahmen an einem verbindlichen Restbudget ausgerichtet und bilanziert sein müssen, um einen längeren Überprüfungszeitraum zu rechtfertigen und ihre Wirkung frühzeitig zu kennen. Es muss schon heute für alle Entscheidungen verbindlich sein, wie viel CO2e das maximale Limit Deutschlands bis zur Klimaneutralität sind.

Ohne Restbudget keine Freiheitssicherung

Aus rechtlicher Sicht würde ein Restbudget und daraus abgeleitete Minderungsvorgaben für die vom Bundesverfassungsgericht 2021 geforderte intertemporale Freiheitssicherung sorgen: Auch zukünftigen Generationen muss es möglich sein, in klimabedingter Freiheit zu leben. Sie dürfen nicht alle oder auch nur unverhältnismäßig viel Minderungslast tragen, weil wir es versäumen, geeignete Maßnahmen zeitnah zu ergreifen. Diese Rechte können bei den aktuellen Emissionszahlen und Klimaentwicklungen möglicherweise schon in nicht zu ferner Zukunft eingefordert werden.

Umso wichtiger ist es jetzt, Instrumente wie das KSG so zu gestalten, dass Klimaschutz zukunftsweisend geplant, statt rückwirkend gesteuert wird. Ein verbindliches Restbudget, das für Deutschland aktuell bei 2,3 Gigatonnen CO2e liegt, ist der wichtigste Schlüssel, um das Ziel der Klimaneutralität analog unserer Pariser Verpflichtungen zu erreichen. Das Klimaschutzgesetz muss nochmal nachgebessert werden.

Juliane Willert ist Juristin und klimapolitische Referentin bei GermanZero e.V.