Das Klima­visions-Tool

Ein digitales Vorbildprojekt für lokale Klimaneutralität

Mit wenigen Klicks zur Klimavision: Seit März 2022 macht GermanZero das möglich. Mit einem Online-Tool können Bürger:innen und Kommunalverwaltungen ganz einfach einen Fahrplan zur Klimaneutralität erstellen. Wie das Tool entstanden ist, erzählt auch viel über die Arbeit von GermanZero.

LocalZero / Klimaentscheide
16.03.2023
Tatyana Thye

Die Klimavision ist ein druckfertiges Dokument mit Kennzahlen, Schaubildern und anschaulichen Texten, das vor Augen führt, wie eine bestimmte Stadt oder Gemeinde in Deutschland klimaneutral werden kann. Jeder Mensch mit einem Online-Zugang kann sie für seine eigene Gemeinde oder Stadt (oder eine andere) mit wenigen Klicks erstellen. von GermanZero, mit der jede Person innerhalb weniger Klicks herausfinden kann, wie ihre klimaneutrale Kommune aussieht.

Das kostenlose Tool, mit dem sie erstellt wird, ist auf der Webseite von LocalZero zu finden, dem kommunalen Netzwerk von GermanZero. 

Das Online-Tool ist denkbar einfach zu bedienen. Es genügt, auf der Website die Postleitzahl oder den Namen einer Kommune sowie das Zieljahr für die Klimaneutralität einzugeben. Das Tool erzeugt daraufhin in wenigen Sekunden eine Klimavision mit einem möglichen Zielbild der Klimaneutralität, abgestimmt auf die angegebene Kommune. Die Angaben werden in zwei PDF-Versionen bereitgestellt, schön layoutet, mit Infografiken und Diagrammen: in einer kompakten Version, komprimiert auf fünf Seiten, und in einer ausführlichen Version, zusammengestellt auf 64 Seiten.

In der kurzen Version werden die wichtigsten Fakten zusammengefasst: Die einzusparenden Emissionen, die entstehenden Kosten und die wichtigsten Maßnahmen, jeweils aufgeschlüsselt nach Sektoren. In der ausführlichen Version wird dies weiter ausgeführt: Es wird ganz genau erklärt, welche Daten wie genutzt werden, welche Maßnahmen wofür wichtig sind und wie all dies finanziert werden kann.

Ergebnis umfangreicher Praxiserfahrung

Eine Stärke des Tools: Automatisch erzeugte Kennzahlen
Eine Stärke des Tools: Automatisch erzeugte Kennzahlen

Hervorgegangen ist die Idee für eine automatisierte Klimavision aus der Arbeit der Lokalgruppen von GermanZero. Ideengeber für das Vorhaben war Hauke Schmülling, der zunächst ehrenamtlich, dann im Hauptamt die Lokalteams koordinierte und unterstützte, um deren Kommunen klimaneutral zu machen. Dabei zeigte sich, wie groß der Bedarf der Teams an einem automatisierten Tool war, das mit transparenten Daten schnelle Ergebnisse lieferte.

Es lag nahe, ein ähnliches Produkt, den so genannten "Klimastadtplan", weiterzuentwickeln, der Anfang des Jahres 2020 ausgearbeitet worden war. Auch der Klimastadtplan basierte auf der Idee, einzelnen Kommunen einen möglichen Weg zur Klimaneutralität aufzuzeigen. Doch das Tool war sehr ressourcenaufwändig und nicht vollständig transparent; zudem mussten die erforderlichen Daten händisch eingegeben werden. Bis zu zehn Stunden konnte es dauern, bis ein Ergebnis vorlag.

Deshalb rief Hauke 2021 das Projekt „Klimavision“ ins Leben und baute mehrere ehrenamtliche Teams für die Sektoren- und Softwareentwicklung auf. Es wurde ein Mammutprojekt, das ohne die Mitarbeit von gut 50 Ehrenamtlichen nie zustande gekommen wäre. Mit viel Fleiß, einer Menge Geduld und unzähligen Online-Meetings wurde das Klimavisions-Tool nach und nach realisiert.

Automatisch generiert: Überblicksdarstellung aus der Klimavision Greifswald

Dass das Klimavisions-Tool mit so viel Aufwand entwickelt wurde, liegt insbesondere an den hohen Standards, denen sich alle Mitwirkenden verpflichtet haben, allem voran in Bezug auf Transparenz. 13 Datenbanken und etwa 2000 selbst recherchierte Fakten sind alle säuberlich mit Quellen hinterlegt. Die zugrundeliegende Software ist open-source, alles ist technisch genauestens dokumentiert.

Im März 2022 wurde die Software in einer Pressekonferenz offiziell veröffentlicht. Seitdem wurde die Software noch intensiver der Öffentlichkeit erklärt, die Texte, Codes und Berechnungen weiterentwickelt. Hauke verlässt GermanZero Anfang des Jahres 2023, um sich weiteren Herzensprojekten zu widmen. Die Klimavision wird von Johannes Hofmann weitergeführt, der eigens für das Projekt ausgebildet wurde und die dahinterstehende Leidenschaft mit Hauke teilt.

Lösungsorientiert in Richtung Klimaneutralität

Restbudget als Grundlage: Auszug aus der Klimavision für Greifswald
Restbudget als Grundlage: Auszug aus der Klimavision für Greifswald

Das Klimavisions-Tool ist auf ein großes Ziel hin ausgerichtet: Klimaneutralität anstatt „nur“ Klimaschutz. Klimaschutz gibt lediglich eine grobe Richtung an ohne ein konkretes Endziel zu nennen. Mit Klimaneutralität hingegen ist das Ziel klar: Die Treibhausgas-Emissionen müssen auf netto null gebracht werden. Das Tool folgt damit dem Treibhausgasbudget- und würdigt die Ziele des Pariser Klimaabkommens. Es berücksichtigt tatsächlich, wie viele Emissionen eine Kommune in Deutschland nach diesen Zielen noch verbrennen darf.

Am Endziel „netto null“ zeigt sich ein zweites Prinzip, auf dem das Klimavisions-Tool basiert: Es generiert für jede Kommune eine Klimavision, die mögliche Lösungen in den Mittelpunkt stellt, nicht die Probleme. Noch gibt es keine Kommune in Deutschland, die klimaneutral ist. Nur Schritt für Schritt, Maßnahme für Maßnahme kann man dem Ziel näher kommen. Dabei ist es unerlässlich, die Schritte im Gesamtprozess zu betrachten. So werden nicht nur die öffentliche Hand, sondern alle Akteur:innen einer Kommune sowie alle Sektoren berücksichtigt - und damit auch alle vor Ort entstehenden Emissionen.

Ein besonderes Augenmerk liegt hier auf der Einflussbilanz als neuartige THG-Bilanzierungsmethode. Diese rechnet die gesamte Emissionsbandbreite, sowohl prozess- als auch verbrennungsbedingte Emissionen, mit ein und verteilt sie auf die jeweiligen Akteur:innen, die direkten Einfluss haben diese zu reduzieren. Die Einflussbilanz stellt das Prunkstück der Entwicklungen innerhalb des Projektes dar, da sie auch unabhängig von der Klimavision als universale THG-Bilanzierungsmethodik vor Ort eingesetzt werden kann. Sie ermöglicht erstmals, Klimaneutralität bilanziell anzustreben und ist damit bisherigen Bilanzierungsstandards voraus.

Die Klimavision als Startpunkt

Eckwerte zur Orientierung: Reduktionsbedarf, Investitionen, vermiedene Klimakosten bei der Umstellung auf Erneuerbare Energien in Greifswald
Eckwerte zur Orientierung: Reduktionsbedarf, Investitionen, vermiedene Klimakosten bei der Umstellung auf Erneuerbare Energien in Greifswald

Die berechneten Angaben der Klimavision können einen ausführlichen, eigens für den Ort beauftragten Klima-Aktionsplan nicht ersetzen. Ihr Zweck ist vielmehr, Bürger:innen, Politiker:innen und Verwaltungen grundlegende Orientierungspunkte für einen Weg zur Klimaneutralität zu bieten.

"Für einen guten Klima-Aktionsplan schauen sich Expert:innen eine einzelne Kommune sehr genau an,“ so Hauke Schmülling. „Sie erheben Daten und entwickeln unter Bürger:innenbeteiligung detaillierte Maßnahmen für einzelne Wohnviertel, Straßen und so weiter. Einen konkreten Aktionsplan zu entwickeln lohnt sich, kostet aber Geld und Zeit. Insbesondere für Orte, die noch keinen ambitionierten Aktionsplan haben. Es lohnt sich daher, für den Anfang die kostenlose Klimavision zu nutzen."

Auch gibt es viele unterschiedliche Wege, wie eine Kommune klimaneutral werden kann, die Klimavision zeigt nur einen möglichen auf. Sie enthält Ideen und Vorstellungen für den Umfang der notwendigen Transformation: Wie groß wären die Veränderungen, die auf die Kommune zukommen? Welche und wie viele Maßnahmen müssten umgesetzt werden? Was könnte das kosten? Womit könnten die Entscheidungsträger:innen überzeugt werden? Was könnte jede einzelne Person in der Gemeinde tun? Die Angaben der Software können als erste Grundlage dienen, um innerhalb einer Kommune über den Weg hin zur Klimaneutralität zu diskutieren.

Deswegen auch der Name für das Endprodukt des Online-Tools: "Die Klimavision zeigt generisch überschlagene Daten und soll ein Entwurf sein, wie man zur netto null kommt. Sie kann ein Startpunkt sein", erläutert Hauke. Sie bietet eine Basis, vielleicht die ersten Ansätze einer Strategie, eine erste Richtung. Eine Vision eben.

Großes Interesse

In zahlreichen Orten haben LocalZero-Teams ihre Klimavision an die Verwaltung übergeben
In zahlreichen Orten haben LocalZero-Teams ihre Klimavision an die Verwaltung übergeben

Wie groß der Bedarf an Visionen für die Klimaneutralität ist, zeigt der große Anklang, den das Klimavisions-Tool findet. Mehr als 4000 Klimavisionen für über 1200 Kommunen wurden bereits erzeugt (Stand März 2023). Auch bekannte Stimmen aus dem Feld der Wissenschaft und Verwaltung zeigen sich begeistert von der Arbeit. GermanZero wirbt auf zahlreichen Veranstaltungen dafür, zum Beispiel 2022 auf dem Vernetzungstreffen der Klimaschutzmanager:innen in Erfurt oder beim Zukunftsforum in Kassel. 2023 stehen Berliner Energietage oder das Creative Bureaucracy Festival auf dem Programm. 

Das Klimavisions-Tool dient LocalZero auch als Grundlage für die Beratung der eigenen Lokalteams. So wurden zum Beispiel die Teams aus Bremen, Wismar oder Lübeck in ihrem Vorhaben unterstützt, ihre Kommunen zur Klimaneutralität zu bewegen. In Bietigheim-Bissingen und Greifswald konnten die Teams dank des Tools innerhalb kürzester Zeit einen Klimaaktionsplan an ihre Bürgermeister überreichen. LocalZero nutzt seine Software aber auch dazu, Kommunen direkt zu beraten. In Öhringen wird erstmals basierend auf der Einflussbilanz eine Treibhausgasbilanz erstellt, in Potsdam und Waldeck-Frankenberg hat sich die Verwaltung bereits beraten lassen, wie sich die Software am besten nutzen lässt. Hier wird sichtbar, wie die Ideen der Klimavision Früchte tragen und Außenwirkung entfalten.

Vielversprechende Zukunft

Das Klimavisions-Tool erweist sich also als ein wertvolles Instrument für den Weg zu klimaneutralen Kommunen. Ganz im Sinne des Projektes lohnt es sich deswegen in die Zukunft zu schauen. Die zugrunde liegende Software wird durchgehend weiterentwickelt, mit kleinen Updates und noch mehr Daten gefüttert. Angedacht ist außerdem, auf lange Sicht vollständig mit kommunenspezifischen Daten zu arbeiten. Auch könnte man die Software anderen Ländern oder Unternehmen zur Verfügung stellen.

Um das Projekt weiter voranzutreiben, wurden Ende des Jahres neun Ehrenamtliche als Klimavisionär:innen ausgebildet. In einer Online-Ausbildung erhielten die Teilnehmenden einen Gesamtüberblick über die Software und wurden für die einzelnen Sektoren geschult. Nach einer Abschlussprüfung gab es noch eine zweitägige Exkursion nach Kassel, bei der unter anderem Klimaschutzprojekte der Lokalpolitik, Wirtschaft oder der Verwaltung besucht wurden. Acht Ehrenamtliche sowie Johannes Hofmann als Hauptamtlicher können nun als Expert:innen den Einsatz des Klimavisions-Tools deutschlandweit vorantreiben, Fragen beantworten und das Projekt weiterführen.

Die Klimavisionär:innen bei einer Ausbildungsfahrt in Kassel
Die Klimavisionär:innen bei einer Ausbildungsfahrt in Kassel

Ausblick mit Vision

Gute Aussichten also für das Projekt „Klimavision“. Unter den Haupt- und Ehrenamtlichen bei GermanZero zeichnet sich ab, dass ein neues Kapitel in der Arbeit von LocalZero beginnt, denn erstmals wird ein Produkt stark extern nachgefragt und dazu beraten. Die Euphorie und das Vertrauen, die die Mitglieder dem Projekt entgegenbringen, haben sicher auch damit zu tun, dass darin widerspiegelt, wofür GermanZero auch als Organisation steht: An Lösungen statt an Problemen arbeiten. Lokal und auf Bundesebene. Bürger:innen befähigen, aktiv gegen die Klimakrise vorzugehen, anstatt passiv auf Veränderungen zu warten. "Mich motiviert,“ sagt Hauke Schmülling, „dass noch sehr viel zu tun ist und wir einen sehr großen Beitrag leisten können. Man kann doch auch selbst so viel tun, mit begrenzten Mitteln aber mit engagierten Leuten."

LocalZero-Teams in ganz Deutschland