Wir befinden uns im Klimanotstand
Die Welt befindet sich im Klimanotstand. Diesen Umstand haben bereits 18 Nationen, mehr als 2000 Kommunen sowie das EU-Parlament anerkannt. Mehr als 1 Milliarde Menschen leben in deren Einflussbereich. Mit der Ausrufung des Klimanotstands wird anerkannt, dass die Erderhitzung eine umfassende Krise darstellt, dass bislang nicht genug dagegen unternommen wurde, und dass es deutlich wirksamere Maßnahmen braucht.[1]
UN-Generalsekretär Antonio Guterres forderte im Dezember 2020 alle Regierungen dazu auf, diesen Schritt zu tun: "Wenn wir jetzt den Kurs nicht ändern, steuern wir auf katastrophale drei Grad mehr in diesem Jahrhundert zu. […] Ich rufe die Regierungen weltweit dazu auf, in ihren Ländern den Klimanotstand auszurufen, bis wir Klimaneutralität erreicht haben."[2]
Die Welt befindet sich im Klimanotstand - und Deutschland reagiert zu langsam. Der im März diesen Jahres erschienene Emissionsbericht des Umweltbundesamts legt die Zahlen dazu vor: dreimal schneller als bisher müssen ab jetzt die Emissionen gemindert werden, damit die Bundesregierung ihre Ziele erreicht.[3] Der Expertenrat für Klimafragen bestätigt: Im bisherigen Tempo wird die Bundesregierung die gesetzlich vorgeschriebenen Klimaschutzziele bei weitem verfehlen.[4]
Auch wenn die Bundesregierung den Klimanotstand nicht offiziell anerkennt: Sie muss jetzt mutige Entscheidungen treffen, damit die Treibhausgasemissionen unseres Landes deutlich schneller sinken. GermanZero legt deshalb ein Klimanotstandspaket mit Gesetzesvorschlägen vor, mit denen bis zum Jahr 2035 rund 62 Prozent der nötigen Emissionsminderungen erreicht werden können. Die Frist von 2035 und die Intensität der Maßnahmen basieren auf der Erkenntnis: Es bleibt einfach nicht mehr Zeit, um das Restbudget für "1,5 Grad" einzuhalten.
So fordern wir die Bundesregierung auf, diese Maßnahmen – oder Maßnahmen mit vergleichbar starker Klimawirkung – zu ergreifen. Nur so besteht zumindest eine Chance, dass Deutschland seinen Beitrag zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze überhaupt noch leisten kann.
Klimapolitik aktuell: zu langsam, zu spät
Das Klimanotstandspaket von GermanZero adressiert zwei Defizite der bisherigen Klimapolitik: das geringe Tempo bei Emissionsminderungen und ihre fehlende Ausrichtung an einem Treibhausgas-Restbudget.
Zu wenig Tempo
Bis 2045 soll Deutschland dem Klimaschutzgesetz zufolge klimaneutral sein. Doch die Regierung verfehlt die in diesem Gesetz festgelegten Reduktionsziele um ein Vielfaches und begeht damit einen Rechtsbruch.[5] Der von ihr selbst beauftragte Expertenrat für Klimafragen kam 2022 in seinem ersten Zweijahresgutachten[6] zu einem vernichtenden Urteil: „Die bisherigen Emissions-Reduktionsraten reichen bei weitem nicht aus, um die Klimaschutzziele für 2030 zu erreichen – weder in der Summe noch in den einzelnen Sektoren,“ so Ratsmitglied Thomas Heimer. „Die jährlich erzielte Minderungsmenge müsste sich im Vergleich zur historischen Entwicklung der letzten 10 Jahre mehr als verdoppeln. Im Industriesektor wäre etwa eine 10-fache und bei Verkehr sogar eine 14-fache Erhöhung der durchschnittlichen Minderungsmenge pro Jahr notwendig.“[7]
2045 ist zu spät
Was noch schwerer wiegt: Das Klimaziel selbst ist unzureichend, denn Klimaneutralität im Jahr 2045 kommt zu spät. Bis dahin wird Deutschland sein nationales Restbudget an Treibhausgasen massiv überzogen haben. Laut Sachverständigenrat für Umweltfragen steht Deutschland, Stand 2022, nur noch ein Restbudget von 2,3 Gigatonnen zur Verfügung, um zumindest mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 % die 1,5-Grad-Grenze zu halten.[8] Mit den im Koalitionsvertrag festgehaltenen Klimamaßnahmen dagegen wird das Land bis 2045 mindestens weitere 7,2 Gigatonnen an Treibhausgasen ausstoßen.
Das Problem ist, dass die Regierung ihren Zielsetzungen für Emissionsminderungen überhaupt kein Restbudget zugrunde legt obwohl das Bundesverfassungsgericht in seinem historischen Beschluss eine Minderungsstrategie angemahnt und den Restbudgetansatz dabei als naheliegend empfohlen hat. Ohne Restbudget, so das Gericht, kann "kein bestimmtes Temperaturniveau angesteuert werden, weil die unumkehrbaren Effekte von CO2-Emissionen auf das Klima Korrekturen des eingeschlagenen Pfades allenfalls begrenzt zulassen. Letztlich bedeutete dies, Klimaschutz ins Blaue hinein zu betreiben.“[9]
Der Bundesregierung liegen klare Zahlen vor, wie viel Deutschland noch emittieren darf, um die 1,5-Grad-Grenze zu halten: Nach Berechnungen des Sachverständigenrats für Umweltfragen steht Deutschland, Stand Anfang 2023, nur noch ein Restbudget von 2,3 Gigatonnen zur Verfügung. Bedenkt man, dass Deutschland allein im Jahr 2022 746 Megatonnen emittiert hat[10], ist das deutsche Restbudget bereits in wenigen Jahren ausgeschöpft, wenn wir unseren Reduktionspfad nicht massiv beschleunigen. Kleine Schritte reichen nicht mehr.
Wir fordern, dass Deutschland bis spätestens 2035 klimaneutral sein muss. Alle Emissionen, die bis dahin noch anfallen und das Restbudget überschreiten, müssen über Treibhausgassenken und internationalen Ausgleich kompensiert werden.
Die Bundesregierung kann sich nicht damit herausreden, dass sie irgendwann später umso stärker reduzieren oder kompensieren wird. Zumal sie keine Pläne vorlegt, wie das gelingen könnte. Das Bundesverfassungsgericht hat es für unzulässig erklärt, Emissionsreduktionslasten einseitig zulasten zukünftiger Generationen in die Zukunft zu verschieben.[10]
Was wir jetzt brauchen: Maßnahmen, die schnell und stark wirken
Der große Aufholbedarf bei der Emissionsreduktion bedeutet: Es braucht gesetzliche Maßnahmen, die um ein Vielfaches wirksamer sind als die bisherigen. Andernfalls wird Deutschland seine Verpflichtung aus dem Pariser Klimaabkommen nicht erfüllen. Der Klimanotstand wird sich verschärfen.
Das Klimanotstandspaket soll dabei helfen, eine Gewichtung in der politischen Debatte vorzunehmen: Welche Maßnahmen bringen tatsächlich stark spürbare Effekte? Und in welchen Größenordnungen liegen diese Effekte?
Die Maßnahmen des Klimanotstandspakets zeichnen sich durch drei Eigenschaften aus:
- sie sind schnell und stark wirksam
- sie sind an einem Treibhausgas-Restbudget von 2,3 Gigatonnen ausgerichtet, analog zur Methodik des Sachverständigenrats für Umweltfragen, mit dem Ziel, die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten
- ihre Minderungswirkung wird anhand eines Vergleichs zwischen dem 1,5-Grad-Pfad von GermanZero und dem Projektionsbericht 2021 der Bundesregierung berechnet. (Den Projektionsbericht für 2023 hat die Bundesregierung, Stand 6. Juni 2023, noch nicht vorgelegt.)
In der Summe bringen diese Maßnahmen Emissionseinsparungen in Höhe von 2009 Millionen Tonnen. Damit wären bereits 62 Prozent der Minderungen möglich, die nötig sind, damit Deutschland bis 2035 klimaneutral wird.
Die größten Hebel für den Klimaschutz
GermanZero versteht das Klimanotstandspaket als konstruktiven und wissenschaftlich belastbaren Lösungsvorschlag, der aufzeigt, welche Maßnahmen die Klimapolitik in Deutschland ergreifen muss, damit sie in allen Sektoren endlich auf den richtigen Pfad gelangt - den Pfad, der so effektiv Emissionen spart, dass die Einhaltung der Klimaziele bis 2035 überhaupt in realistische Nähe rückt. Diese Maßnahmen allein reichen aber nicht, um klimaneutral zu werden. Das Klimanotstandspaket ist die komprimierte Version des 1,5-Grad-Gesetzespakets von GermanZero.[12] Aus insgesamt 232 Maßnahmen wurden die Kernmaßnahmen mit dem größten Reduktionspotenzial ausgewählt, die möglichst alle Emissionsquellen abdecken.
Diese "großen Hebel für den Klimaschutz" zeigen, in welcher Größenordnung Klimapolitik wirksam werden muss, anstatt sich auf Nebenschauplätzen zu verausgaben.
Um ein Beispiel zu geben: Die "ÖPNV-Offensive" des Bundesverkehrsministeriums, Teil seines im Juli 2022 vorgestellten "Sofortprogramms für den Sektor Verkehr," bringt bis 2030 gerade einmal Einsparungen von 1,55 Millionen Tonnen CO2e[13]. Das größte Minderungspotenzial in diesem Sektor liegt dagegen bei einem Erstzulassungsstopp für PKW mit Verbrennermotoren ab 2025. Damit ließen sich bis 2035 rund 374 Millionen Tonnen CO2e mindern, knapp 47 Prozent aller nötigen Emissionsminderungen im Verkehr. Damit ist diese Maßnahme der mit Abstand stärkste Hebel in diesem Sektor. Klar wird damit auch: Ohne sie ist Klimaneutralität bis 2035 auch nicht zu schaffen.
Ähnlich ist es mit Maßnahmen in der Landwirtschaft: Während viel über eine Mehrwertsteuersenkung für pflanzliche Produkte oder die Legalisierung des Containerns debattiert wird, zeigen unsere Vorschläge, wo Minister Özdemir und sein Ministerium ihre Energie investieren sollten: Ein europäischer Emissionshandel für tierische Produkte, Flächenbindung in der Tierhaltung und die Wiedervernässung von Mooren - diese drei regulatorischen Hebel haben zusammen das Potenzial, rund ein Drittel aller Emissionen im Bereich Landwirtschaft und Landnutzung zu mindern: 224 Millionen Tonnen CO2e. Daran müssen sich andere diskutierte Maßnahmen messen lassen.
Handlungsaufforderung an die Bundesregierung
Das Klimanotstandspaket macht also deutlich, wo die Politik und die gesellschaftliche Debatte über wirksamen Klimaschutz tatsächlich ansetzen müssten. Insbesondere die Diagramme zum gesamten Reduktionsbedarf zeigen allerdings auch: Es genügt nicht, einzelne Maßnahmen herauszupicken. Um bis 2035 bei netto null Emissionen anzukommen, müssten alle diese Maßnahmen umgesetzt werden – und dazu noch durch weitere ergänzt. Es mag alternative Lösungen geben. Sie müssen sich allerdings ebenfalls an den Rahmenpunkten messen lassen, die durch das Pariser Klimaabkommen und den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts gegeben sind: Die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze und einem entsprechenden Treibhausgas-Restbudget für Deutschland.
Das bedeutet: Die Bundesregierung muss darlegen, wie sie mit ihren Maßnahmen insgesamt ihre Klimaziele einhalten will. Und sie muss für jede gesetzliche Maßnahme die damit verbundenen CO2-Einsparungen und ihren Einfluss auf die gesamte Klimabilanz Deutschlands darlegen. Bislang hat sie es versäumt, berechenbare Effekte ihrer Entscheidungen transparent zu kommunizieren.
Konsequent handeln und Schlimmeres vermeiden
Maßnahmen wie der schnelle Abschied vom Verbrenner-PKW oder Einbauverbote für Öl- und Gasheizungen lassen die enorme Transformation erahnen, die die Politik in Deutschland auf den Weg bringen muss, um das Land vollständig klimaneutral zu machen. Das Signal, das wir senden wollen, ist: Diese Transformation muss jetzt mit wirksamen Maßnahmen beginnen!
Manche dieser Maßnahmen mögen drastisch erscheinen. Doch drastische Zeiten erfordern drastische Maßnahmen, um die Freiheit und Sicherheit kommender Generationen zu wahren. Die Klimaschäden, die wir bereits jetzt erleben, sind nur ein Vorgeschmack auf die weitaus dramatischeren Folgen, die Deutschland, Europa und der Welt noch bevorstehen, wenn wir nicht oder zu langsam handeln.
Um nur zwei der vielen Zahlen zu nennen, die die Drastik verdeutlichen: Die Schäden durch die Flut im Jahr 2021 im Ahrtal und an der Erft werden auf mindestens 40 Milliarden Euro geschätzt - bis dahin das "schadensträchtigste Extremereignis der deutschen Geschichte."[14] Laut einer vom Bundeswirtschaftsministerium veröffentlichten Studie droht Deutschland bei ungebremster Erderhitzung eine beinahe jährliche Wiederholung von Schäden dieser Größenordnung. Auf bis zu 900 Milliarden können sich die Gesamtschäden durch Wetterextreme in Deutschland bis 2050 belaufen. Und dabei sind in dieser Berechnung noch nicht einmal so schwerwiegende Verluste wie Todesfälle, das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten oder der Verlust von Lebensqualität eingerechnet.[15]
Vor der Wahl, Schäden dieser Größenordnung in Kauf zu nehmen oder sie jetzt mit entschiedenen Maßnahmen zu vermeiden, sollte der Politik keine Anstrengung zu groß sein.
Warum wirksamer Klimaschutz Gesetze braucht
Die Maßnahmen im Klimanotstandspaket beinhalten neben Anreizen und Fördermaßnahmen auch ordnungsrechtliche Maßnahmen wie Verpflichtungen und Verbote. Diese Maßnahmen sind aus drei Gründen nötig:
Ordnungsrecht schafft Sicherheit und Fairness
Erstens haben ordnungsrechtliche Maßnahmen drei wesentliche Vorteile:
- sie sind fairer, weil bestimmte Dinge unabhängig vom Einkommen für alle Menschen verpflichtend werden und Unternehmen unter den gleichen Vorrausetzungen ("level playing field“) wirtschaften müssen,
- sie sind zielgenauer als steuerliche Anreize, weil ihre emissionsmindernde Wirkung leichter zu berechnen ist (bei einer Steuer ist oft unsicher, wie hoch sie sein muss, um den gewünschten Effekt zu erzielen),
- sie schaffen Planungssicherheit, zum Beispiel für Unternehmen und Verbraucher:innen, die vor langfristigen Investitionen stehen und entscheiden müssen, wie riskant es ist, Geld langfristig in fossilem Kapitalstock (z.B. Gasheizungen oder Verbrennermotoren) zu investieren - auf die Gefahr hin, dass ein rasant steigender CO2-Preis diese entwertet.
Tragik der Allmende - Freiwilligkeit reicht nicht aus
Zweitens funktioniert das Prinzip der Freiwilligkeit beim Klimaschutz nicht, weil die Begrenzung der Treibhausgasemissionen eine Aufgabe ist, die den Rahmen dessen sprengt, was die einzelnen Menschen in unserer Gesellschaft beeinflussen können. Wie der Ökologe Garrett Hardin in seinem Essay "Die Tragik der Allmende" beschrieb: Bei Ressourcen, die allen Menschen uneingeschränkt zur Verfügung stehen, wird jeder Mensch versuchen, so viel Ertrag wie möglich zu erwirtschaften, bis diese Ressource erschöpft ist - selbst wenn dies letztlich ihm selbst genauso schadet wie der Gemeinschaft. Wenn die Gemeinschaft zu groß ist, um diesen Konflikt zwischen Einzel- und Gesellschaftsinteressen durch Absprachen zu lösen, braucht es eine Form der staatlichen Regulierung. Bei der Nutzung unserer Atmosphäre als Senke für Treibhausgase ist genau das der Fall.
Beispiel Verkehr: Weil es keine politischen Maßnahmen zur Minderung der Emissionen gab und der Ausbau der Schieneninfrastruktur zugleich nicht priorisiert wurde, entwickelte sich der Verkehr nur in eine Richtung: mehr Autos, mehr Straßen, mehr Staus - aber weniger Bahn. 220 Städte haben seit 1996 ihre Fernverkehrsanbindung verloren. Weder Appelle an die Verbraucher:innen, öfter Rad oder Bus zu fahren, noch Selbstverpflichtungen der Autoindustrie haben zu klimafreundlicherem Verkehr geführt. Alles Wissen in Politik und Wirtschaft um die Notwendigkeit, den CO2-Ausstoß im Verkehrssektor zu reduzieren, hat in den letzten 30 Jahren exakt nichts bewirkt. Seit 1990 sind die Emissionen schlicht konstant geblieben, anstatt deutlich zu sinken.
Was die Energiewende anbelangt, so kann man sich zwar eine Solaranlage aufs Dach bauen, aber die Regierung muss die Gesetze vorlegen, mit denen der Ausbau erneuerbarer Energien schnell und koordiniert erfolgt, damit ein zukunftsfähiges Energiesystem entsteht.
Als Mieter hat man keinen Einfluss darauf, ob die Vermieterin die Gasheizung gegen eine Wärmepumpe austauscht - und die Mehrkosten sozialverträglich verteilt. Hier wie in vielen anderen Bereichen des Lebens sind es nicht die Einzelnen, die grundlegend ändern können, wie unsere Gesellschaft funktioniert und fossile Brennstoffe verbraucht. Es braucht Vorgaben und Lösungen vom Bund.
Verfassungsrechtliche Verpflichtung
Das dritte und stärkste Argument für Gesetze, die in belastbarer Weise für ausreichenden Klimaschutz sorgen, stammt schließlich wieder aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts,. Darin heißt es, dass der Gesetzgeber verfassungsrechtlich dazu verpflichtet ist, "Voraussetzungen und Anreize für die Entwicklung klimaneutraler Alternativen zu schaffen." Dafür, so das Gericht weiter, muss der Gesetzgeber den nötigen "Entwicklungsdruck" durch klare Rahmenbedingungen aufbauen: "Der nötige Entwicklungsdruck entsteht, indem absehbar wird, dass und welche Produkte, Dienstleistungen, Infrastruktur-, Verwaltungs- und Kultureinrichtungen, Konsumgewohnheiten oder sonstigen heute noch CO2-relevanten Strukturen schon bald erheblich umzugestalten sind."[16]
Wir brauchen eine neue Politik
Die Freiheit kommender Generationen lässt sich also nur schonen, wenn "CO2-relevante Strukturen erheblich umgestaltet werden". Mit dem Umgestalten bestehender (fossiler) Strukturen tut sich die Politik erfahrungsgemäß schwer. Doch Deutschland braucht eine Gesetzgebung, die genau dies leistet. Der Expertenrat für Klimafragen spricht von einem "Paradigmenwechsel in der Ausrichtung der deutschen Klimapolitik" - mit Maßnahmen, die für viele Politiker:innen schwer vorstellbar sind: Weil so wenig Zeit bleibt, ist neben Anreizen und Subventionen ein aktiver Rückbau des "fossilen Kapitalstocks"[17] nötig. Dazu zählt zum Beispiel, dass Gas- und Ölheizungen schnellstmöglich ausgetauscht und Verbrenner-PKW als Auslaufmodelle behandelt werden - genau solche Maßnahmen also, die, derzeit begleitet von lauten Aufschreien politischer Kontrahenten, intensiv diskutiert werden.
Es ist eine unbequeme Wahrheit, die auszusprechen die Politik aber den Mut aufbringen muss. Dabei hilft sicherlich, nicht nur vom "aktiven Rückbau" zu sprechen. Im Vordergrund sollte stehen, dass nur wirksamer Klimaschutz unsere zukünftige Freiheit sichern kann - und im gleichen Zug viel Neues aufgebaut wird.
Mehr als eine zweite "Mondmission"
Die Herausforderungen durch die Transformation zur Klimaneutralität sind ohne Zweifel riesig. Ursula von der Leyen vergleicht sie mit der ersten Mond-Mission.[18] Darin schwingt die Erfahrung mit, dass eine Gesellschaft in kurzer Zeit Ziele erreichen kann, die bislang als unerreichbar galten. Nur sieben Jahre nach John F. Kennedys "We choose to go to the moon" setzte der erste Mensch einen Fuß auf den Mond - weil ein ganzes Land seine kreative Energie und wirtschaftliche Kraft diesem scheinbar verrückten Ziel widmete: 400.000 Menschen[19] arbeiteten dafür, dass eine einzige Rakete die Energie von 120 Atomkraftwerken freisetzte,[20] um drei Menschen sicher auf den Mond zu bringen.
Es wird Zeit, dass auch unsere Politik daran glaubt, dass sie Unvorstellbares möglich machen kann. Was wir damit gewinnen, ist unvergleichlich größer als die ersten Schritte auf dem Mond: eine Zukunft in einem menschenfreundlichen Klima. Mit unserem Klimanotstandspaket machen wir wertvolle Vorschläge dafür.
Downloads zum Klimanotstandspaket
Downloads zum Klimanotstandspaket
Das Klimanotstandspaket: 39 Kernmaßnahmen leisten 62 % der nötigen Emissionsminderungen für Klimaneutralität bis 2035.
Infografiken: Reduktionspotenziale der Klimanotstandsmaßnahmen
Anmerkungen
[1] Climate emergency declaration - Wikipedia
[2] "Wenn wir jetzt den Kurs nicht ändern, steuern wir auf katastrophale drei Grad mehr in diesem Jahrhundert zu. […] Ich rufe die Regierungen weltweit dazu auf, in ihren Ländern den Klimanotstand auszurufen, bis wir Klimaneutralität erreicht haben." https://www.un.org/sg/en/content/sg/statement/2020-12-12/secretary-generals-remarks-the-climate-ambition-summit-bilingual-delivered-scroll-down-for-all-english-version
[3] „Um die Ziele der Bundesregierung bis 2030 zu erreichen, müssen nun pro Jahr sechs Prozent Emissionen gemindert werden.“ UBA-Präsident Dirk Messner am 15.3.2023 https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/uba-prognose-treibhausgasemissionen-sanken-2022-um
[5] Pressemitteilung vom 13.3.2023: „Rechtsgutachten: Bundesregierung bricht Klimaschutzgesetz - Kanzler Scholz ist verpflichtet zu handeln“, https://www.germanwatch.org/de/87994
[6] https://expertenrat-klima.de/content/uploads/2022/11/ERK2022_Zweijahresgutachten.pdf
[8] Sachverständigenrat für Umweltfragen (2022): Stellungnahme: "Wie viel CO2 darf Deutschland maximal noch ausstoßen? Fragen und Antworten zum CO2-Budget" https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2022_06_fragen_und_antworten_zum_co2_budget.html
[9] BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 - 1 BvR 2656/18, Rn. 218 (Link)
[11] BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 - 1 BvR 2656/18, Rn. 219 (Link)
[12] Das 1,5-Grad-Gesetzespaket von GermanZero ist ein umfassendes und bislang weltweit einmaliges Paket an Gesetzesvorschlägen, mit dem Deutschland seinen Beitrag zur Einhaltung des 1,5-Grad-Limits leisten kann. Auf 1.500 Seiten enthält es 232 konkrete Maßnahmen sowie ausformulierte Gesetzestexte mit Begründungen, bereit zur Verabschiedung durch den Gesetzgeber. Jede einzelne der 232 Maßnahmen wurde unter der Mitwirkung von 260 Expert:innen ausgewählt. https://germanzero.de/downloads#gesetzespaket
[14] BMWK: „Kosten durch Klimawandelfolgen in Deutschland“, Zusammenfassung: Kosten durch Klimawandelfolgen in Deutschland, S. 4.
[15] BMWK: „Kosten durch Klimawandelfolgen in Deutschland“, Merkblatt #08: Klimawandel: Milliarden-Schäden zu erwarten
[16] BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 - 1 BvR 2656/18, Rn 249.
[17] https://expertenrat-klima.de/content/uploads/2022/11/ERK2022_Zweijahresgutachten.pdf
[18] So sprach Ursula von der Leyen bei der Vorstellung des European Green Deal von "Europe's man on the moon moment": https://www.theparliamentmagazine.eu/news/article/europes-man-on-the-moon-moment-von-der-leyen-unveils-eu-green-deal
[19] https://de.wikipedia.org/wiki/Apollo-Programm#Aufwand_und_Kosten
[20] Laut NASA: „Mehr Energie als 85 Hoover-Staudämme“, also rund 170 GW. Der Hoover-Staudamm hat eine Kraftwerksleistung von 2,08 GW, das AKW ISAR 2 eine Leistung von rund 1,4 GW.
Titelbild
Hamburg 2045 Reinventing Society und Wire Collective (CC BY SA 4.0)
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