Über Klimaklagen zum Erfolg

David gegen Goliath - Das Recht kann eine starke Waffe im Kampf für den Klimaschutz sein

Klimaklagen haben sich in den letzten Jahren als wirksames Instrument der Zivilgesellschaft etabliert. Erste Erfolge motivieren Einzelpersonen, Gruppen oder Organisationen, auf diesem Weg ambitioniertere Klimaschutzmaßnahmen von Unternehmen und Regierungen zu erzwingen.

Gesellschaft Gesetzgebung Klimapolitik
05.06.2025
Sandra Michalski

„Die Verursacher des Klimawandels müssen endlich Verantwortung übernehmen.“ Das sagt der peruanische Bergführer und Kleinbauer Saúl Luciano Lliuya – nicht ohne Grund. 2015 hat er eine zivilrechtliche Klage gegen den Energiekonzern RWE angestrengt, der einer der größten CO2-Emittenten Europas ist und sich daher an den Folgekosten des Klimawandels beteiligen soll. In dem Verfahren ging es um die verhältnismäßig niedrige Summe von 23.000 Euro, die sich durch den Anteil des Konzerns von 0,47 Prozent am globalen Treibhausgasausstoß errechnet.

Saúl Luciano Lliuya 2016 / Credits: Wikimedia Commons

Das Schmelzwasser eines Gletschers, beziehungsweise eine mögliche Sturzflut, bedroht Lliuyas Haus und Dorf am Rande von Huaraz, einer Stadt in den peruanischen Anden. 2019 stürzte bereits eine Eislawine in den Gletschersee, die 4,5 Meter hohe Wellen auslöste. Bricht der Damm, wären sogar bis zu 50.000 Menschen von einer Flutkatastrophe betroffen. Deshalb klagte Lliuya für den dringend benötigten Schutz für sich, seine Familie sowie die Menschen in Huaraz, die selbst kaum zur DasKlimakrise beigetragen haben.

Nach einem jahrelangen Prozess hat das Oberlandesgericht Hamm am 28. Mai nun sein mit Spannung erwartetes Urteil verkündet: Lliuyas Klage wurde abgewiesen – jedoch nur, da das Risiko von Schäden an dessen Haus durch eine Gletscherflut nicht ausreichend hoch sei. Dennoch werten seine Anwältin Roda Verheyen sowie zahlreiche Umweltverbände und -aktivist:innen das Urteil als großen Erfolg. Saúl Luciano Lliuya hat Rechtsgeschichte geschrieben: Nicht nur, weil er die erste Einzelperson ist, die einen Konzern in einem zivilrechtlichen Verfahren wegen der Klimakrise vor Gericht gebracht hat. Sondern vor allem, weil ein deutsches Gericht in seiner Begründung zum ersten Mal grundsätzlich anerkannt hat, dass große Emittenten wie RWE für die Folgen des Klimawandels haftbar gemacht werden können – auch, wenn der Schaden am anderen Ende der Welt entsteht. Damit öffnet das Urteil die Tür für weitere Klagen gegen besonders klimaschädliche Unternehmen.

Erfolgreiche Klimaklagen

Laut der Journalistin Alexandra Endres und der renommierten Anwältin Roda Verheyen schützt das geltende Recht zumeist bestehende Interessen, vor allem der Wirtschaft und der fossilen Konzerne. Das ist historisch begründet, denn in unserem Rechtssystem spiegelt sich immer auch die Haltung der Gesellschaft zu zentralen Fragen – und diese Haltung verändert sich mit der Zeit. Veränderte Prioritäten schlagen sich nur verzögert nieder. Doch die Hoffnung wächst, dass auch bei der Frage nach der Schutzbedürftigkeit unserer natürlichen Lebensgrundlagen der Handlungsdruck steigt und der gesellschaftliche Fortschritt die Gesetzgebung und Rechtsprechung für den Klimaschutz vorantreiben kann.

Und tatsächlich: Immer mehr Einzelpersonen, Gruppen oder Organisationen ziehen gegen Regierungen oder Unternehmen wegen unzureichender Maßnahmen gegen die Klimakrise vor Gericht, um ambitioniertere Klimaschutzmaßnahmen zu erzwingen. Durch den Erfolg einiger dieser Verfahren haben sich Klimaklagen in den letzten Jahren als wirksames Instrument der Zivilgesellschaft etabliert.

1. Klimaseniorinnen Schweiz gegen die Schweizer Regierung

Klimaseniorinnen in Aktion in Bern (2021)

Es war ein historischer Sieg: Im April 2024 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zugunsten der „KlimaSeniorinnen Schweiz“, die ihre Regierung wegen unzureichender Klimapolitik verklagt hatten. Vor allem für ältere Menschen steigen wegen der häufigeren und intensiveren Hitzewellen die Gesundheitsrisiken übermäßig an. Das Gericht stellte schließlich fest, dass die Schweiz die Menschenrechtskonvention verletzt hat, indem sie nicht ausreichend gegen den Klimawandel vorgegangen ist. Konkret wurde damit Artikel 8, das Recht auf Privat- und Familienleben, verletzt. Dieses Urteil könnte als Präzedenzfall für ähnliche Klagen in anderen Ländern dienen, denn das bedeutet: Klimaschutz ist ein Menschenrecht!

2. Klimaklage vor dem Bundesverfassungsgericht

Bundesverfassungsgericht, Karlsruhe / Credits: Rainer Lück

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 gilt als bislang wichtigste Gerichtsentscheidung im deutschen Klimaschutzrecht und war ein riesiger Erfolg, mit dem nicht einmal die federführende Anwältin Roda Verheyen gerechnet hatte. In diesem sogenannten Klimaschutz-Beschluss wurden die Bestimmungen des deutschen Bundesklimaschutzgesetzes von 2019 für unvereinbar mit den Grundrechten erklärt.

Der Beschluss besagt, dass eine unzureichende Klimaschutzpolitik der Bundesregierung die Freiheits- und Grundrechte von morgen beeinträchtigt. Die verfassungsrechtlich notwendige Reduktion von Treibhausgasen darf nicht länger in die Zukunft verschoben und damit einseitig zu Lasten junger Generationen hinausgezögert werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber aufgefordert, sich an den Vorgaben der Wissenschaft zu orientieren und bis Ende 2022 einen schlüssigen Emissionsreduktionspfad mit dem Ziel der Treibhausgasneutralität vorzulegen. Zudem wurde die internationale Verantwortung Deutschlands in der globalen Klimakrise betont.

Die Verfassungsbeschwerde war zuvor von einem Bündnis bestehend aus dem Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV), dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sowie weiteren, vor allem jungen, Einzelkläger:innen erhoben und von verschiedenen weiteren NGOs unterstützt worden.

3. Zukunftsklage – Verfassungsbeschwerde für besseren Klimaschutz

Nach dem erneuten Aufweichen des Klimaschutzgesetzes durch die Ampelkoalition und vor allem wegen der unzureichenden deutschen Verkehrspolitik haben Greenpeace und Germanwatch Ende Juni 2024 eine „Zukunftsklage,“ juristisch gesprochen eine Verfassungsbeschwerde, auf den Weg gebracht. Einem Aufruf der beiden Organisationen folgend, haben sich in nur acht Wochen 54.584 Personen der Klage angeschlossen, um für ihr Recht auf Klimaschutz vors Bundesverfassungsgericht zu ziehen.

Allein die große Zahl der Menschen, die sich hinter der Verfassungsbeschwerde versammelt hat, ist ein beachtlicher Erfolg, der Verhandlungstermin steht indes noch aus. Aufgrund der Urteile in 2021 sowie in der Schweiz besteht begründete Hoffnung, dass das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung und den Bundestag erneut dazu verpflichten könnte, ausreichende Maßnahmen zu ergreifen und das alte Klimaschutzgesetz wieder aufleben zu lassen.

4. Die Natur vor Gericht

Whanganui, Neuseeland / Credits: Robin Shook, Wikimedia Commons

Doch nicht nur das Einklagen der Rechte von Menschen hat sich zu einem wirkungsvollen Instrument im Kampf gegen die Klimakrise entwickelt. Weltweit an Bedeutung gewinnt auch die Idee, der Natur eigene Rechte zuzusprechen – also Flüssen, Wäldern oder Ökosystemen ein eigenes „juristisches Standing“ zu geben. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass diese eine immense Rolle bei der Sicherung unserer Lebensgrundlage spielen, zum Beispiel, indem sie CO2 binden, Wasser filtern oder Lebensräume für unzählige Arten bieten. Im ersten wichtigen Fall dieser Art erkannte das neuseeländische Parlament 2017 den Whanganui-Fluss als eine juristische Person mit eigenen Rechten an – nach einem über 140-jährigen Rechtsstreit der Māori. Der Fluss kann nun z. B. bei Umweltverschmutzung „selbst“ klagen.

Dabei übernehmen zwei offizielle „Hüter:innen“ die Vertretung: Eine Person wird von der Regierung ernannt, die andere von den Māori. Gemeinsam sorgen sie dafür, dass der Fluss im Sinne seiner „Interessen“ geschützt wird – z. B. gegen Umweltverschmutzung oder Eingriffe in seinen natürlichen Verlauf. Das Beispiel zeigt, dass solche Klagen auch ein wichtiges Instrument indigener Menschen sind, ihren Lebensraum gegen Ausbeutung zu schützen. 2008 war Ecuador das erste Land weltweit, das die Rechte der Natur in die Verfassung aufnahm. Seitdem wurden mehrere Klagen im Namen der Natur erfolgreich durchgesetzt, z. B. gegen illegalen Bergbau in einem Schutzgebiet. Die Bewegung wächst auch in Deutschland, u. a. durch das Netzwerk Rechte der Natur oder einige Gemeinden, die inzwischen fordern, Flüsse oder Wälder als Rechtssubjekte zu schützen.

5. Ökozid als Verbrechen

Brennendes Rohöl nach der Havarie der Bohrinsel Deepwater Horizon 2010 / Credits: David Valentine, Wikimedia Commons

Die massive Zerstörung von Ökosystemen durch menschliches Handeln, etwa durch Abholzung, Umweltverschmutzung oder großflächige Eingriffe in die Natur, wird als Ökozid bezeichnet. In Frankreich wurde 2021 bereits ein nationales Gesetz eingeführt, das schwere Umweltvergehen – z. B. die mutwillige Verschmutzung der Luft, des Bodens oder des Wassers – als „Ökozid“ unter Strafe stellt. Im Falle einer Verurteilung drohen bis zu zehn Jahre Haft oder Strafzahlungen von bis zu 4,5 Millionen Euro. Um Unternehmen und Staaten für gravierende Umweltzerstörungen auch strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, setzen sich auf internationaler Ebene Organisationen wie „Stop Ecocide“ dafür ein, Ökozid als fünftes Verbrechen im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) zu verankern – neben Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und dem Verbrechen der Aggression.

Die Anerkennung von Ökozid als internationales Verbrechen würde einen Paradigmenwechsel im Umweltrecht bedeuten: Umweltzerstörung wäre dann nicht nur ein zivilrechtliches oder politisches Problem, sondern ein strafrechtlich verfolgbares Verbrechen – mit potenziellen Konsequenzen für Entscheidungsträger*innen weltweit.

Fazit: Die Zukunft muss eingeklagt werden

Diese Erfolge ermutigen und haben – vor allem der Fall Saúl Luciano Lliuya gegen RWE – eine riesige Signalwirkung entfaltet. Auch dem Ziel, die Verursacher der Klimakrise in die Verantwortung zu nehmen, sie zu weniger schädlichen Geschäftsmodellen zu bewegen, politische Lösungen herbeizuführen und besonders von der Klimakrise betroffene Personen besser zu schützen, sind wir einige Schritte näher gekommen.

Tatsächlich nimmt die Zahl der Klimaklagen weltweit zu – gegen Regierungen und gegen Unternehmen. In den Niederlanden wurde der Konzern Shell beispielsweise dazu verurteilt, seine CO2-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent im Vergleich zu 2019 zu senken.

Auch wenn Shell Berufung eingelegt hat, auch wenn es Rückschläge geben wird und auch wenn die teils problematische Durchsetzung der Urteile immer noch eng beobachtet werden muss: Immer mehr dieser Verfahren werden zugunsten der Kläger entschieden werden. Denn klar ist bereits jetzt:

• Der Klimawandel ist real und der Gesetzgeber muss ihm entgegenwirken
• Klimaschutz ist Grund- und Menschenrecht und hat Verfassungsrang
• Das Grundgesetz wird generationengerecht ausgelegt
• Der Gesetzgeber muss sich an den Vorgaben der Wissenschaft orientieren und schlüssige Konzepte zur Treibhausneutralität entwickeln
• Klimaschutz ist justiziabel, heute und in Zukunft

Die Zukunft wird also auch vor Gericht entschieden. Denn je länger wir zögern, engagierten Klimaschutz umzusetzen, desto stärker werden künftige Generationen in ihrer Freiheit eingeschränkt, und desto kleiner wird der Spielraum, der noch verbleibt. Gegenwärtig erleben wir in der Politik starke Tendenzen, Klima- und Umweltschutzmaßnahmen zurückzudrehen. Man denke nur an den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen, die kürzlich vom EU-Parlament beschlossene Aufweichung der CO2-Flottengrenzwerte oder der von der neuen Bundesregierung angestrebte Aufbau von Gaskraftwerken. Gerade angesichts dieser Entwicklungen muss man immer wieder betonen: Wirksamen Klimaschutz auch vor Gericht zu erstreiten, entspringt nicht etwa dem Sonderinteresse von NGOs oder umweltbewegter Einzelpersonen, sondern folgt aus dem Gebot unserer Verfassung, die natürlichen Lebensgrundlagen für kommende Generationen zu schützen.

Mehr zum Thema

Klimaklage gegen RWE: https://rwe.climatecase.org/de

Verfassungsbeschwerde: https://www.germanwatch.org/de/verfassungsbeschwerde

Zukunftsklage: https://zukunftsklage.greenpeace.de/

Rechte der Natur: https://www.spektrum.de/news/rechte-der-natur-wenn-ein-fluss-vor-gericht-zieht/2189244

Ökozid als Straftat: https://www.geo.de/natur/nachhaltigkeit/umweltzerstoerung-oekozid-als-straftat-sind-wir-alle-30180970.html

Klimaklagen: Endres, Alexandra & Verheyen, Roda: Unlearn Recht. In: Kemfert, Claudia; Gupta, Julien; Kronenberg, Manuel (Hrsg.): Unlearn CO₂. Zeit für ein Klima ohne Krise. Ullstein, 2024. S. 85–102.

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