Schorndorf in Baden-Württemberg: Knapp 40.000 Menschen leben in der Stadt, viele davon klimabewusst. Theoretisch. Es gibt viele Bioläden hier. Aber auch viele SUVs. „Die meisten hier interessieren sich nicht wirklich für das Thema Klima“, erzählt Dörte Schnitzer, Mitgründerin der Initiative „Klimaentscheid Schorndorf“. Hier im schönen Ländle läuft bislang fast alles wie immer. Mindestens ein Pkw pro Haushalt, Standard im Autoland Baden-Württemberg.
„Dabei merken wir den Klimawandel doch auch hier! Die letzten Sommer waren extrem heiß, in den Wäldern sind Feuer ausgebrochen. Und die Politik tut einfach nicht genug, um dem Klimawandel ernsthaft etwas entgegenzusetzen“, empört sich Schnitzer. Davon hat die Mutter zweier Söhne genug. Als sie zufällig von GermanZero hört, ist die 52-Jährige sofort begeistert. „Das ist die logische Fortsetzung von der gesellschaftlichen Bewegung und den wichtigen Protesten auf der Straße. Ein Klimagesetz für Deutschland und gleichzeitig die gemeinsame Klimawende von unten – durch die Klimaentscheide in den Kommunen – so kann das funktionieren.“
Dörte Schnitzer trommelt alle zusammen, die sie noch von „Parents for Future“ kennt. Schnell findet sich ein Team aus fünf Mitstreiterinnen zusammen. Alle eint dasselbe Ziel: Sie wollen ihre Heimat klimaneutral machen. Denn bisher gibt es im beschaulichen Schorndorf keine verbindlichen Klimaziele oder gar einen Plan zur Klimaneutralität. Im Sommer 2020 vereinbart das Team Klimaentscheide von GermanZero mit den Schorndorferinnen einen Termin zum Kick-Off-Work-shop. Diese Auftaktveranstaltung sei immer der erste Schritt auf dem Weg, erklärt Ines Gütt, Projektleiterin für Klimaentscheide bei GermanZero. Die Schordorferinnen haben sie von Anfang ganz besonders beeindruckt: „Die Gruppe hat in ihrer Region so viel auf die Beine gestellt in der kurzen Zeit – und das trotz Corona!“ Dabei schlägt den Klimaaktivistinnen am Anfang vor allem eines entgegen: Widerstand. Oberbürgermeister Matthias Klopfer, SPD, bezeichnet das Ziel der Gruppe – Schorndorf bis 2035 klimaneutral zu machen – als „völlig utopisch“, und auch die Kommunalpolitiker*innen im Gemeinderat sind erst einmal skeptisch. Doch das spornt die Gruppe nur noch mehr an.
Während des gesamten Jahres 2020 unterstützt GermanZero Dörte Schnitzer und ihr Team. Nach dem Auftakt steht der lokale Klimaplan für Schorndorf an. Mithilfe des Klimastadtplan-Generators von GermanZero werden die Einsparpotentiale in Schorndorf ermittelt. Im Oktober 2020 hat das Team dann einen 31-seitigen Plan in der Hand und zwölf konkrete Ziele ausformuliert. Sie haben sich eingelesen, recherchiert und sind überzeugt: Wir können es schaffen, Schorndorf bis 2035 klimaneutral zu machen! Wenn der Großteil der Schorndorfer*innen das auch will. Der Klimaplan umfasst Einsparpotentiale und nötige Maßnahmen in allen Sektoren. Zum Beispiel mehr Grünflächen für ein besseres Stadtklima, einen massiven Ausbau des ÖPNV und kostenfreie Klimatickets, baulich getrennte Rad- und Gehwege statt kostenfreier Parkplätze für Autos, Elektrifizierung des Verkehrs und den Ausbau von Wind- und Solarkraft.
Die andere Fünf-Prozent-Hürde
Nun heißt es für das Schorndorfer Team: Unterschriften sammeln. Für ein Bürgerbegehren müssen sie mehr als 2.000 davon zusammenbekommen. Das Quorum, das dafür erreicht werden muss, variiert je nach Bundesland, zumeist liegt es bei rund fünf Prozent der gesamten Einwohner*innenzahl. Die Abstimmungsfrage lautet: „Sind Sie dafür, dass die Stadt einen Plan ausarbeiten muss, wie Schorndorf bis 2035 klimaneutral werden kann?“ In Zweier-Teams legen sie los, vor Schulen, im Park, auf dem Wochenmarkt, auf dem Parkplatz vor dem Discounter – ein Geheimtipp laut Schnitzer. Lokale Vereine unterstützen das Team und schnell wird die Unterschriftenliste länger.
Auch der Oberbürgermeister merkt mittlerweile, dass es den Bürgerinnen sehr ernst ist, dass sie eine echte Veränderung wollen. Er bietet der Lokalgruppe an, einen Einwohnerinnenantrag zu starten. Das Quorum an Unterschriften ist dafür geringer, trotzdem muss der Gemeinderat den Antrag anhören und dann entscheiden. „Da sind wir auf die Stadt und den OB zugegangen“, erzählt Schnitzer. „Wir wollen ja zusammen und nicht gegeneinander arbeiten. Außerdem haben wir gemerkt, dass wir in den Fraktionen mehr und mehr Zustimmung bekommen.“ Im Februar stellt Dörte Schnitzer mit zwei weiteren Vertreterinnen den Antrag im Gemeinderat vor. Schon im Dezember hatten ihnen alle Fraktionen außer der AfD ihre Zustimmung zugesagt. Und auch Oberbürgermeister Klopfer bezieht in seiner Haushaltsrede Stellung: „Der Kampf gegen den Klimawandel steht in Schorndorf in Zukunft an oberster Stelle.“
Sie haben es geschafft! Ganz Schorndorf wird alles geben, um bis 2035 klimaneutral zu werden. Nun stolz zurücklehnen und Füße hoch? Nicht für die Schorndorfer Klimaschützerinnen. Sie unterstützen jetzt die umliegenden Städte und Gemeinden. In Aalen, Esslingen und Weinstadt gibt es schon eigene Klimaentscheid-Teams. Die Schorndorferinnen machen einen lokalen Klimaentscheid zu einer Klima-Bewegung. Die anderen Gruppen lernen direkt aus den Erfahrungen, Problemen und Erfolgen. Ines Gütt ist stolz auf ihr Team aus Schorndorf: „Genau das ist das Ziel der Klimaentscheide. Wir wollen überall in Deutschland kleine Klimakeimzellen entstehen lassen, die dann ganz von selbst größer werden, weil die Städte und Gemeinden im Umkreis sehen, dass es funktioniert.“
Text: Selina Bölle