Wendelin Einsiedler bittet zur Fahrt in seinem Elektroauto. Es geht hinauf zu den Windrädern über der Gemeinde. Und zu den Motoren entlang einer Pipeline, die durch den Ort führt. Sie versorgt kleine Kraftwerke, die aus Biogas Strom und Wärme erzeugen. Einsiedler brennt für den Klimaschutz und hat großen Anteil daran, dass Wildpoldsried heute fast acht Mal so viel erneuerbaren Strom herstellt, wie der Ort selbst braucht.
Die Fahrt beginnt in Eufnach, einem Weiler hinter Wildpolds- ried nahe Kempten. Grüne und schwarze Kuppeln wölben sich in den Himmel, darunter gärt Biogas — genug, um Strom für 3.000 Haushalte zu produzieren. Vier solche Anlagen stehen in Wildpoldsried. „Es muss einen doch faszinieren, wenn man weiß, dass man aus Mist und Gülle Strom erzeugen kann“, meint Einsiedler und erklärt mit Geduld, Detail um Detail, die Anlage.
Einsiedler stammt aus einem alteingesessenen Hof. Er lernte Landwirt, studierte Agrarwissenschaft in Weihenstephan und begann dann in den 1990er-Jahren, sich für die erneuerbaren Energien zu begeistern. Damals war er ein Pionier.
Heute transportiert eine 4,5 Kilometer lange Biogas-Pipeline das Biogas durch den Ort. Im Sportheim, einem kleinen, mit Holz vertäfelten Häuschen, rattert ein Motor, groß wie ein Schrank. Er erzeugt CO2-neutral Strom, die anfallende Wärme wird zum Heizen oder Duschen genutzt. „Wir nutzen alle Abwärme“, sagt Einsiedler. Dies spare nochmals 700.000 Liter Heizöl im Jahr.
Fährt man über die Hügel in die 2.600-Einwohner-Gemeinde hinunter, kommt man vorbei an grünen Wiesen und braunen Kühen, in der Ferne glitzert Schnee auf den Bergen. Die Häuser sind herausgeputzt, auf den Dächern liegen 285 Photovoltaikanlagen. Hinzu kommen kleine Wasserkraftwerke und eine „Dorfheizung“, an deren 3,5 Kilometer langes Nahwärmenetz auch kommunale Gebäude angeschlossen sind. Am Ortsrand hat Batteriespeicher-Hersteller Sonnen seine Zentrale, bei ihm können die Besitzer der Solaranlagen den Mittags erzeugten Strom für die Nacht zwischenlagern.
Im Kleinen hat Wildpoldsried umgesetzt, was das Land noch vor sich hat. Und vielleicht sieht man hier auch, wie man die Bürger:innen bei diesem Mammutprojekt mitnehmen kann. Sie sind nämlich an vielen Projekten direkt beteiligt.
Ein Windrad heutiger Technik kann übers Jahr gesehen mehrere tausend Haushalte mit Strom versorgen, berichtet Einsiedler. Hier haben sie elf davon, alle gehören den Bürger:innen. Über 400 Wildpoldsrieder:innen haben sich beteiligt. Das schafft Akzeptanz. „Zehn weitere Windräder hätten wir auf dem Höhenrücken noch bauen können — kommunal übergreifend und mit höchster Akzeptanz“, sagt Einsiedler. Dann verhinderte eine Funkanlage der Deutschen Flugsicherung den Ausbau.
Arno Zengerle war von 1996 bis 2020 Bürgermeister der Gemeinde. Er hat den Ausbau der erneuerbaren Energien begleitet.
„Für uns sind die erneuerbaren Energien nichts Besonderes mehr, das ist Alltag“, sagt er. Dass sich etwas ändern muss, habe man nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl 1986 gelernt. „Die Sonne schickt uns jeden Tag 15.000-mal mehr Energie, als wir brauchen“, sagt der CSU-Politiker. „Was benötigen wir da Kohle, Öl oder Uran?“
Ohne Macher wie Wendelin Einsiedler, Leute, die das Thema vorantreiben, hätte man aber nicht den Erfolg gehabt, sagt der langjährige Bürgermeister. Und noch eines sei unverzichtbar: Vertrauen. „Wenn das Vertrauen in die handelnden Personen nicht dagewesen wäre, wäre nichts passiert.“ Keiner hätte auch nur eine Mark für das erste Windrad ausgegeben. Zengerle stieg in den 1990er-Jahren eigens ins Wohnmobil und fuhr nach Norden, um sich Windräder anzuschauen und aus eigener Erfahrung berichten zu können. Am Ende investierten die Wildpoldsrieder:innen in 20 Jahren 50 Millionen Euro in den Klimaschutz.
2.600
Einwohner
zählt die Gemeinde Wildpoldsried
6,5 Mio.
Euro
nimmt die Gemeinde jährlich ein dank 11 Windrädern, 285 PV-Dachanlagen, 4 Biogasanlagen und 3,5 km Nahwärmenetz
Heute fließt ein Großteil der Energieausgaben der Einwohner:innen nicht mehr an Konzerne oder in Ölländer, sondern bleibt vor Ort. „Unseren Berechnungen nach beträgt die Wertschöpfung 6,5 Millionen Euro im Jahr, die in der Gemeinde bleiben“, sagt Zengerle. Unterdessen ist Wildpoldsried zum Testlabor geworden, der Siemens-Konzern startete hier Pilotprojekte, die RWTH Aachen forschte und bewies, dass die Hälfte der Autos elektrisch fahren kann, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden.
Ob es möglich sei, das Land komplett erneuerbar zu versorgen? „Ein klares Ja!“, sagt Wendelin Einsiedler. „Der Preis stimmt, die Technik ist da, alle Faktoren stehen auf Grün.“
Ersterscheinung dieses Textes in der Augsburger Allgemeinen. Die vorliegende Version stammt aus dem GermanZero-Magazin.