Nichts geht über Er-Fahrung

Carsharing und Elektromobilität auf dem Land

Acht Gemeinden des Rhein-Hunsrück-Kreises verleihen kostenlos Elektroautos. Damit zeigen sie, dass zwei Dinge auch auf dem Land funktionieren: Carsharing und Elektromobilität.

Von Daniela Becker

Verkehr
09.06.2021
Daniela Becker

Ohne eigenes Auto schnell zum Einkaufen, etwas Sperriges transportieren oder mit Freunden einen Ausflug machen — das ist im Rhein-Hunsrück-Kreis kein Problem. Wer ein Auto braucht, kann es kostenlos ausleihen. Acht Elektroautos finanziert der Landkreis.

„Rhein-Hunsrück ist ein Flächenkreis, 75 % der Dörfer haben unter 500 Einwohner*innen. Wenn man da einen dichten Bustakt aufziehen will, wird es richtig teuer.

Dass wir hier kurzfristig vom Individualverkehr wegkommen, ist einfach unrealistisch,“ sagt Axel Bernatzki, Referent für Kommunikation der Energieagentur Rheinland-Pfalz. Aber der Individualverkehr kann klimafreundlicher werden. Um das zu beweisen, stehen nun acht weiße Renault Kangoo in den Gemeinden des Landkreises — geräumige Familien- und Transportkutschen, zudem rein elektrisch betrieben. Auf Heckklappe und Tür steht es grün auf weiß: „Unser Dorfauto“.

Einfach ausprobieren ist das Motto des Projekts

„Wir wollen insbesondere Leute erreichen, die Vorbehalte gegen elektrisches Fahren haben und ihnen die Chance geben, das in der Praxis ohne Hürden ganz einfach mal auszuprobieren“, erklärt Axel Bernatzki. Und Frank-Michael Uhle, Klimaschutzmanager des Rhein-Hunsrück-Kreises ergänzt: „Wir haben einen Allrounder fürs Dorf ausgewählt, der über eine zweite Sitzbank verfügt, so dass man auch mal vier Kinder zum Fußballtraining, einen Schützenverein zum Wettbewerb fahren und auch den Kofferraum ordentlich vollladen kann.“

Das Leasing für die sieben E-Autos (ein weiteres war bereits im Bestand) kostet den Landkreis einschließlich der Buchungssoftware 70.000 Euro im Jahr. 24 Monate lang zahlt der Kreis die Kosten alleine. Im dritten Jahr übernehmen die Gemeinden. Der Kreis finanziert die Dorf-E-Autos unter anderem aus Gewerbesteuer-Einnahmen, die die vielen Solar- und Windkraftwerke im Hunsrück abwerfen.

„Unser Dorfauto” gibt es im Rhein-Hunsrück-Kreis gleich in achtfacher Ausführung. Die E-Autos werden per App gebucht und können von den Bürger*innen kostenlos genutzt werden. / Credits: Kreisverwaltung Rhein-Hunsrück

Kümmerer erklären, wie das System funktioniert

Die Resonanz war von Beginn an gut. „Wir haben zum Beispiel einen ganz kleinen teilnehmenden Ort, dort sind schon 60 % der Führerschein-Inhaber*innen registriert“, sagt Bernatzki. Die Autos stehen jeweils zwölf Monate lang in einer Gemeinde an einer Ladesäule. Danach kommen sie ins nächste Dorf. Geladen wird mit Ökostrom, der aus den Fotovoltaik-Anlagen auf den Gemeindedächern stammt.

Die Dorfbewohner*innen können die Fahrzeuge schnell und flexibel über eine Handy-App buchen. Theoretisch könnten die Autos regelmäßig durchgebucht oder für Urlaubsfahrten genutzt werden. Falls jemand das System unverhältnismäßig nutzt und anderen so die Chance zum Ausprobieren nimmt, muss einer der so genannten Kümmerer eingreifen. In jedem Dorf gibt es mindestens einen solchen Ansprechpartner, der die Bürger*innen in das Auto einweist, zeigt wie der Ladestecker funktioniert und die Buchungsapp erklärt.

Fahrten im Durchschnitt über 50 Kilometer

Uns erreichen tolle Feedbacks, wie die Fahrzeuge in das Dorfleben aktiv eingebunden wurden“, sagt Klimaschutzmanager Uhle, „Tanzgruppen, die damit gemeinsam zum Auftritt fahren, mit ihrem ganzen Equipment, Vereine, die Senior*innen betreuen, Eltern, die Kinder zum Sport fahren.“ Im ersten Jahr gab es über 3.300 Einzelbuchungen für insgesamt fast 170.000 Kilometer — deutlich mehr als von den Projektplanern ursprünglich vermutet. „Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass mal zum Einkaufen oder zum Arzt gefahren wird, also eher kürzere Strecken um die zehn Kilometer. Aber wir liegen jetzt im Schnitt bei Distanzen von über 50 Kilometern“, sagt Uhle.

Noch immer stehen bei vielen Familien im Landkreis zwei oder drei Autos vor der Tür, von denen viele nur einmal in der Woche bewegt werden. Uhles Hoffnung ist, dass die Dorfautos etwas anstoßen. Und tatsächlich habe es bereits mehrere Anfragen aus Nachbarschaften gegeben, die überlegen, wie sie privat ein E-Auto teilen können. Die Verkäufe von E-Autos in der Region nehmen zu. „Das alles bestätigt unseren Ansatz“, sagt Uhle. „Man muss Elektromobilität wortwörtlich 'erfahren' können.“

Diesen Text und viele andere findest du auch im GermanZero-Magazin.