Lebenswerte Städte für Menschen – mit weniger Lärm, besserer Luft, mehr Grün, mehr Platz für Begegnung und Miteinander. Was wie eine Utopie klingen mag, ist mancherorts bereits Realität. Vielleicht ja auch bald in meinem Berliner Viertel, für das zurzeit verschiedene Maßnahmen zur Umsetzung eines Kiezblocks geprüft werden. Während hier noch diskutiert und untersucht wird, sind andere schon weiter. Denn fest steht, dass der Autoverkehr einer der größten Verursacher von CO2-Emissionen in Deutschland ist, die Luftqualität in den Städten sowie die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum stark beeinträchtigt und wenig Platz lässt für Menschen, die nicht motorisiert unterwegs sind. Gründe, unseren Umgang mit Mobilität zu überdenken, gibt es also genug. Kiezblocks oder verkehrsberuhigte Stadtteile können ein vielversprechender Ansatz im Rahmen der Verkehrswende sein. Doch was genau bedeutet das? Und wo gibt es bereits erfolgreiche Beispiele?
Was sind Kiezblocks oder autofreie Stadtteile?
In autofreien Stadtteilen wird der private Autoverkehr entweder stark eingeschränkt oder komplett verboten. Kiezblocks dagegen sind städtische Wohnquartiere, die nicht zwangsläufig autofrei sind, vor allem jedoch den Kfz-Durchgangsverkehr einschränken wollen und dem Auto eine untergeordnete Rolle zuschreiben. Ziel beider Konzepte ist es, den Straßenraum neu zu gestalten und den Fokus auf Fußgänger*innen, Fahrräder und den öffentlichen Nahverkehr zu legen. Die Vorteile überzeugen:
● Reduzierte CO2-Emissionen: Ohne private Autos sinken die Emissionen deutlich. Einer Simulation des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft zufolge würde eine weit gefasste Verkehrsberuhigung innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings die Emissionen der Stadt gegenüber dem Stand von 2023 halbieren. (Quelle: https://dashboard.hiig.de/)
● Mehr Lebensqualität: Weniger Lärmbelastung, geringere Luftverschmutzung und mehr Platz für Aufenthalts-, Spiel- und Grünflächen.
● Sicherere Straßen: Menschen werden motiviert, zu Fuß zu gehen oder Rad zu fahren, und profitieren außerdem von einem geringeren Unfallrisiko – vor allem Kinder und Senior*innen.
Wie kann ein Stadtteil umgestaltet werden?
Erreicht wird eine Verkehrsberuhigung meist durch die Kombination verschiedener lenkender Maßnahmen:
● Verbesserung der öffentlichen Verkehrsmittel: Eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ist entscheidend, damit Bewohner*innen und Besucher*innen problemlos auf das Auto verzichten können.
● Förderung des Radverkehrs: Durch den Bau von sicheren und attraktiven Radwegen oder Fahrradstraßen kann der Umstieg vom Auto aufs Fahrrad erleichtert werden.
● Neugestaltung des Straßenraums: Zusätzlicher Raum durch die Einrichtung von Einbahnstraßen, Diagonalsperren oder Spielstraßen kann zum Verweilen einladen und Platz für Straßenmöbel oder Freizeitaktivitäten bieten. (Und keine Sorge, natürlich sind alle Gebäude für Rettungsfahrzeuge, Lieferverkehr etc. weiterhin erreichbar.)
● Reduzierung von Parkmöglichkeiten: Durch die Begrenzung von Parkplätzen wird der Anreiz, ein Auto zu besitzen, verringert.
Wo profitieren Menschen schon heute?
Vauban, Freiburg: 400 Haushalte autofrei
Ein Vorzeigeprojekt für nachhaltiges Wohnen: Der Stadtteil Vauban in Freiburg ist zwar nicht komplett autofrei, das Konzept aber sehr gut angenommen. Parkmöglichkeiten gibt es nur am Rand des Stadtteils, die Straßen selbst bieten viel Platz für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen. Zudem gibt es ein gut ausgebautes Netz öffentlicher Verkehrsmittel, das die Anbindung an die Innenstadt gewährleistet, sowie ein ergänzendes Carsharing-Angebot. Über 400 Haushalte haben sich so bereits dafür entschieden, ohne eigenes Auto auszukommen.
Seestadt Aspern, Wien: Stadt der kurzen Wege
Die Seestadt Aspern ist eines der größten Stadtentwicklungsprojekte Europas. Bewohner*innen, Forscher*innen, Stadtverwaltungen und Unternehmen tragen hier zur Entwicklung eines nachhaltigen urbanen Verkehrskonzepts bei. Das Konzept aspera mobil setzt auf einen Mobilitätsmix (40 % ÖPNV, 40 % mit dem Rad/zu Fuß, 20 % Auto/Moped/Motorrad), der Ressourcen schonen und zu einer hohen Lebensqualität beitragen soll. Die Wege in der Seestadt sind kurz, für schwere Einkäufe stehen E-Lastenräder zur Verfügung. Es gibt breite Radwege und viel Platz zum Leben. Die meisten Autos parken in Sammelgaragen.
Ljubljana: die grünste Hauptstadt
Ein weiterer Vorreiter ökologischer Stadtentwicklung ist die slowenische Hauptstadt Ljubljana, die 2007 begann, ihr Zentrum autofrei zu gestalten. Bürgermeister Jankovic, der für seine „Vision Ljubljana 2025“ zunächst heftigen Protest und sogar eine Ohrfeige erntete, schaffte es, für die größten Fragen (Wie wird der Gewerbe- und Lieferverkehr organisiert? Welche Möglichkeiten gibt es für ältere oder körperlich eingeschränkte Menschen? Wo können betroffene Anwohner ihr Auto parken?) kreative Antworten zu finden. Seitdem hat sich die Fläche für Fußgänger*innen in der Innenstadt um ein Vielfaches erhöht, Abgaswerte und Lärm-Emissionen sanken deutlich – und auch die Geschäfte in der autofreien Fußgängerzone blieben trotz der anfänglichen Befürchtungen des Einzelhandels weiterhin gut besucht. Ein Beispiel, das zeigt, wie viel mit politischem Willen zur Veränderung möglich ist. Mittlerweile befürworten auch 95 % der Menschen die Maßnahmen und bewerten weitere Ausbaupläne positiv.
Über die Hälfte der Berliner Verkehrsflächen ist für den sogenannten motorisierten Individualverkehr vorgesehen, obwohl nicht einmal ein Drittel der Wege mit dem Auto oder Motorrad zurückgelegt werden. Nur etwa drei Prozent sind dem Radverkehr gewidmet – was sich z. B. auch im Winskiez (Bezirk Pankow) niederschlägt, der bisher ohne offizielle Fahrradwege auskommen muss. Nach einem Antrag der Kiezblockinitiative an die Bezirksverordnetenversammlung werden nun Vorschläge geprüft, Anwohner*innen befragt und Verkehrszählungen durchgeführt. Auf Basis der Ergebnisse werden dann konkrete Maßnahmen erarbeitet, die möglichst viele Interessen vereinen sollen. Am Ende steht nicht notwendigerweise ein autofreier Kiez, vielleicht jedoch eine Änderung der Parkordnung oder die Einrichtung von Einbahn- und Fahrradstraßen. In anderen Berliner Stadtvierteln, aber auch in Frankfurt oder Hamburg, laufen zurzeit ähnliche Modellprojekte. Die Idee leitet sich von Barcelonas Superblocks ab, die als Pioniere der städtischen Umgestaltung gelten.
Die Berliner Kiezblock-Bewegung wächst und wächst. Aktuell gibt es 72 Initiativen, selbst in den Außenbezirken. Davon wurden 36 Kiezblocks bereits politisch beschlossen, 11 davon befinden sich in der Umsetzung.
Fazit: Autoarmes Wohnen ist ein Gewinn
Autoarme Stadtteile und Kiezblocks sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer klimaneutralen Zukunft. Die Straßen wieder für die Menschen zu öffnen, bietet nicht nur ökologische Vorteile, sondern erhöht auch die Lebensqualität der Bewohner*innen. Immer mehr Politiker*innen erkennen die Zeichen der Zeit. Paris, das sich unter Bürgermeisterin Anne Hidalgo rasant verändert, gab gerade bekannt, Parkgebühren für SUV im Zentrum auf 18 € pro Stunde zu erhöhen. Weitere Beispiele wie Gent oder Amsterdam zeigen, dass autoarmes Wohnen keinen Verzicht bedeutet, sondern, einmal umgesetzt, erfolgreich und beliebt ist – hoffentlich auch bald in meinem Berliner Kiez.
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